Meade Glenn
Zeit. Er musste vor allem folgende Fragen beantworten: Welche Maßnahmen konnten im Vorfeld eines Anschlags ergriffen werden, um die Anzahl der Opfer zu begrenzen? Wie konnten die Überlebenden geschützt, die unzähligen Verletzten versorgt und die Opfer beseitigt werden?
Um eine Katastrophe überhaupt bewältigen zu können, musste das Krisenmanagement vor dem Desaster einen fertigen Plan zur Hand haben. Wenn eine Katastrophe nicht verhindert werden konnte, musste zumindest Schadensbegrenzung betrieben werden. Die Risiken und Schäden für Mensch und Eigentum mussten begrenzt werden, bevor dasUnglück geschah. Aus diesem Grunde hatte O’Brien Dutzende von Katastrophenszenarien und entsprechender Hilfsmaßnahmen in seinem Computer gespeichert. Darunter befand sich auch ein von Terroristen ausgeführter Giftgasanschlag auf die Hauptstadt.
O’Brien saß seit Stunden eingeschlossen in seinem Büro und bearbeitete diese Studie. Ihm standen modernste Software-programme der FEMA und des Verteidigungsministeriums zur Verfügung. Um nicht gestört zu werden, hatte er sein Telefon abgestellt.
Er musste das gewaltige Zerstörungspotenzial des Nervengases berücksichtigen und die Zahlen und Bedingungen entsprechend korrigieren. Die Hochrechnungen waren der reinste Albtraum. Konnte die FEMA überhaupt mit einer solchen Katastrophe fertig werden?, fragte er sich. Die Beantwortung dieser Frage deprimierte ihn zutiefst. Obwohl er seine Studie noch nicht abgeschlossen hatte, ahnte er bereits die Antwort. Sie lautete: Nein.
O’Brien wandte sich seufzend vom Fenster ab, nahm den Kugelschreiber in die Hand und starrte auf den blauen Monitor.
Die ihm übertragene Aufgabe war gigantisch. Morgen früh musste er dem Direktor Ergebnisse präsentieren. Über anderthalb Millionen Bürger mussten im Falle eines Giftgasanschlags auf die Hauptstadt evakuiert, dekontaminiert, mit Lebensmitteln, Notunterkünften und Strom versorgt werden.
Noch größer war das Problem der medizinischen Versorgung der Überlebenden und der Zweihunderttausend Verletzten.
Außerdem musste das Krisenmanagement dafür sorgen, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten.
Insbesondere eine Aufgabe bereitete O’Brien Kopfzerbrechen.
Schon bei dem Gedanken allein fing er an zu frösteln. Wie sollten im Ernstfall dreihunderttausend Leichen beseitigt werden?
Chesapeake
7.00 Uhr
Karla wachte auf. Sie hatte sich die ganze Nacht unruhig hin und her gewälzt. Ihre Angst um Nikolai hätte sie fast gänzlich um den Schlaf gebracht. Sie zog sich an, lief die Treppe hinunter und kochte Kaffee.
Es war ein klarer sonniger Morgen. Eine kühle Brise fegte über die Bucht. Ishim Razan hatte sie bis jetzt nicht angerufen, aber trotzdem war sie zutiefst beunruhigt. Das Handy lag noch oben in ihrer Tasche. Sie wollte es gerade holen, als Rashid plötzlich im Türrahmen stand und sie beobachtete. »Du bist ja heute früh auf den Beinen, Karla Sharif. Was ist los? Konntest du nicht schlafen?«
»Ich mache mir Sorgen um Nikolai.«
Rashid knurrte. »Komm, ich will dir was zeigen.« Karla folgte ihm ins Wohnzimmer. Rashid war kurz nach Mitternacht mit zufriedener Miene zurückgekehrt und wortlos in seinem Zimmer verschwunden. Er schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Kanäle, bis er die NBC-Nachrichten fand.
Eine Reporterin stand auf einer dunklen Straße in Washington und berichtete live vom Unglücksort. In einiger Entfernung hinter ihr sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Dutzende uniformierter Polizisten sperrten das Gebiet ab, das von grellen Neonlampen erhellt wurde. Hinter der Absperrung herrschte hektische Aktivität. Rettungsmannschaften, Löschfahrzeuge der Feuerwehr, Kranken- und Streifenwagen waren vor Ort. Karla sah dünne Rauchschwaden und mehrere zerstörte Gebäude. Sie lauschte benommen den Worten der Reporterin. Die FBI-Zentrale auf der 10. Straße war durch den Anschlag eines Selbstmordattentäters teilweise zerstört worden. Dutzende waren dabei getötet und verletzt worden. Karla drehte sich entsetzt zu Rashid um, der sie siegessicher angrinste.
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich den Amerikanern eine Lektion erteilen werde.«
Karla erblasste. »Warum? Warum hast du das getan? Warum hast du diese Menschen getötet?«, fragte sie ihn empört.
»Eine andere Sprache verstehen die Amerikaner nicht. Wenn sie die Leichen auf den Straßen sehen, nehmen sie uns vielleicht ernst.« Er schaltete den Fernseher aus. »Schade, dass nicht mehr dabei
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