Meade Glenn
Gesicht spiegelte sich ein seltsames Zusammenspiel ihrer Gefühle, die zwischen Mitleid und Entsetzen, Angst und Abscheu wechselten. Gorev reichte ihr das Glas. »Hier, trink einen Schluck. Das beruhigt die Nerven.«
»Nein, mir ist nicht nach Wodka, Nikolai«, erwiderte sie und schaltete den Fernseher aus.
»Du siehst erschöpft aus, Karla. Vielleicht solltest du dich ein paar Stunden hinlegen.«
Sie antwortete ihm nicht, Stattdessen stellte sie sich ans Fenster und blickte mit aschfahlem Gesicht auf den strömenden Regen. Gorev ging zu ihr, legte einen Arm um ihre Schulter und drehte sie sanft zu sich herum. »Was ist los mit dir?«
»Ich muss immerzu an die Menschen denken, die gestern Nacht getötet wurden. Väter, Mütter, Söhne, Töchter. Ein sinnloses Blutbad.«
Gorev stellte sein Glas ab und musterte sie. »Es ist nicht deine Schuld, Karla. Dieses Gemetzel geht auf Rashids Konto. Damit haben wir nichts zu tun.«
»Nein, haben wir das wirklich nicht? Wir mischen hier mit und können unsere Hände nicht in Unschuld waschen, Nikolai.«
»Wir sind nicht aus demselben Holz geschnitzt wie Rashid und seine Freunde. Uns haben andere Motive bewogen mitzumachen.«
»Am Ende kommt es auf dasselbe raus. Könntest du wirklich damit leben, wenn Rashid den Sprengsatz zünden würde? Wir wissen beide, dass es ihm durchaus zuzutrauen ist.«
»Das wird nicht passieren. Er wird seine Befehle befolgen.
Außerdem haben die Amerikaner bereits zugestimmt, unsere Bedingungen zu erfüllen. Wir haben gewonnen. Und am Ende wird der Sprengsatz entschärft.«
»Und wenn er inzwischen versehentlich hochgeht? Hast du daran mal gedacht? Wenn die Straßen von hunderttausenden von Toten übersät sind? Wäre es die Sache wert, Nikolai?«
Gorev hörte einen ihm unbekannten zornigen Unterton in ihrer Stimme. »Was ist los mit dir, Karla? Zweifelst du an unserer Mission?«
Karla schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht darüber sprechen. Wenn wir das hier überleben, vielleicht, aber nicht jetzt.«
Gorev strich ihr zärtlich über die Wange. »Ich mache mir langsam Sorgen um dich.«
»Das brauchst du nicht.« Karla schob seine Hand sanft von sich. »Wenn du nichts dagegen hast, versuche ich jetzt, ein bisschen zu schlafen.«
Washington, D. C.
13.15 Uhr
Die russische Botschaft an der Wisconsin Avenue gehört zu den größten in Washington. Es ist ein modernes Gebäude aus Glas und poliertem Stahl mit zahlreichen Satellitenschüsseln und Antennen auf dem Dach. Als das Taxi hielt, bezahlte Kursk den Fahrer und ging auf das kugelsichere Wachhaus zu. Er zeigte Dienstausweis und Reisepass und klärte den Wachposten über sein Anliegen auf, woraufhin dieser ein kurzes Telefonat führte.
Kursk wunderte sich über die Transporter eines privaten Wach-und Sicherheitsdienstes, die auf dem Grundstück der Botschaft parkten. Bedienstete schoben Handkarren, die mit schweren Kartons beladen waren, aus dem Gebäude und halfen, sie in die Transporter zu laden. Der Wachposten kam zu ihm, reichte ihm seine Ausweise und öffnete das Tor. »Der Generalsekretär, Mister Vladimir, erwartet Sie, Major.«
Washington, D. C.
13.30 Uhr
Als Nächstes standen die Einsatzprotokolle des Personenschutzes auf Judds Liste.
Die Agenten mussten über ihre Einsätze Dienstbücher führen, in denen sie die Termine der Schutzbefohlenen, die sie begleiteten, mit den genauen Zeiten, Daten und Orten verzeichneten. Den Protokollen der Agenten war jedoch noch mehr zu entnehmen. Sie gaben Aufschluss über Angewohnheiten, regelmäßige Termine, Abwesenheiten und ungewöhnliche Ereignisse. Wenn es bei einem Ratsmitglied Abweichungen von der Normalität gab, konnte Harry Judd diese mit viel Glück den Einsatzprotokollen entnehmen. Er hatte das Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein.
Das graue viktorianische Old Executive Buildung lag gegenüber vom Westflügel des Weißen Hauses. Hier war ein Büro des Geheimdienstes untergebracht. Harry Judd betrat das Gebäude und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Darlene, die nüchterne texanische Sekretärin, hob den Blick und lächelte freundlich. Ah, Mr. Judd. Wie stehen die Aktien?«
»Wie immer. Ich brauche die Einsatzprotokolle des letzten Monats.«
»Welche?«
»Alle.«
Washington, D. C.
13.31 Uhr
In Vladimir Lazarevs Büro herrschte große Hektik. Kursk beobachtete verwundert die Angestellten, die Akten aus Lazarevs Schränken rissen und draußen auf dem Gang auf einen Rollwagen warfen.
»Sie müssen schon
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