Meade Glenn
tun.«
Chesapeake
18.40 Uhr
Karla lag im Bett und lauschte dem prasselnden Regen. Das Fenster war geöffnet, und das Mondlicht, das zwischen den schwarzen Wolken hindurchschimmerte, drang ins Zimmer.
Draußen in der Bucht blitzte es.
Nikolai öffnete die Tür und fragte: »Darf ich reinkommen?«
»Wenn du möchtest.«
Karlas Haar war zerzaust, und in dem fahlen Mondlicht sah sie sehr jung und zerbrechlich aus. Gorev setzte sich auf die Bettkante und schaute sie an. Karla hatte feuchte Augen. »Was ist los mit dir, Karla? Bist du wütend oder vielleicht gekränkt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Rashids gestrige Aktion erscheint mir als ein schlechtes Omen. Ich habe das ungute Gefühl, es könnte noch mehr auf uns zukommen. Noch weitere sinnlose Morde. Noch mehr Zerstörungen.«
»Karla, das ist reiner Aberglaube. Ihr Araber…«
»Nein, nein, das hat damit nichts zu tun. Vielleicht habe ich plötzlich begriffen, wie verdammt ernst es ist. Es ist kein Spiel mehr. Und noch etwas anderes macht mir Angst. Ich glaube nicht, dass wir beide diese Sache überleben werden. Und ich werde Josef nie wieder sehen. Was können wir anderes erwarten? Menschen wie du und ich können ihrer Vergangenheit nicht entfliehen.«
»Wie meinst du das?«
»Wenn man jemanden tötet, muss man dafür bezahlen.
Unterschiedliche Menschen zahlen einen unterschiedlichen Preis. Es ist gleichgültig, ob man für eine gerechte oder ungerechte Sache tötet oder Unrecht begeht. Man zahlt immer den Preis. Und es gibt viele Währungen, in denen man zahlen kann. Die Menschen, die man hasst, können dich verderben oder infizieren. Oder das, was man getan hat, quält dich, oder man zahlt am Ende mit seinem eigenen Leben. Das habe ich gelernt, als mein Mann getötet wurde. Das war der Preis, den er für das Unrecht, das er glaubte, begehen zu müssen, zahlen musste.
Jetzt zahle ich für das, was ich getan habe.«
»Und wie wirst du dafür zahlen?«
»Das weiß ich nicht. Ich verstecke mich hinter meiner zerbrechlichen Rüstung und rede mir ein, es Josef zuliebe tun zu müssen.«
»Ich glaube an das, was ich tue. Das ist meine Rüstung.«
»Das unterscheidet uns, Nikolai. Glaube mir, wir werden beide zahlen.«
»Möchtest du die ganze Sache vergessen? Aussteigen, solange noch Zeit ist?«
»Dazu ist es jetzt wohl zu spät. Wo soll ich hingehen?«
Karla hatte den Drang, mit Nikolai über ihre Ängste und ihr Geheimnis zu sprechen, aber kein Wort drang über ihre Lippen.
Was hätte es für einen Sinn? Sie hatte so viele Jahre geschwiegen.
»Was ist los, Karla?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Das stimmt nicht.« Nikolai spürte die schreckliche Angst, die Karla quälte. Er streichelte ihr über die Wange und schaute ihr in die Augen. »Meine arme Karla.«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken und drückte ihn an sich. Nikolai legte sich zu ihr unter die Decke und schmiegte sich an ihre Brust. Plötzlich fing Karla so heftig an zu weinen und zu schluchzen, dass ihr Körper erbebte. »Karla, was hast du?«
Sie zögerte, ehe sie ihm antwortete. »Willst du wissen, warum ich eingewilligt habe, Rashid zu helfen?«
»Nur, wenn du es mir sagen willst.«
Karla erzählte ihm alles, und als sie verstummte, rannen noch immer Tränen über ihre Wangen. Nikolai unterdrückte seine grenzenlose Wut und flüsterte: »Alles wird gut, Karla. Alles wird gut.«
Er strich ihr übers Haar und hielt sie fest in seinen Armen, bis sie aufhörte zu weinen und schließlich einschlief.
63
Washington, D. C.
19.45 Uhr
In der Nische einer Stripteasebar in der 4. Straße stand Benny Visto mit einem Glas Whisky in der Hand und beobachtete durch seine Sonnenbrille zwei nackte Frauen, die auf einer kleinen Bühne tanzten. »Die neue Tussi hat ‘n tollen Arsch.«
Frankie stand neben ihm und trank ein Bier. »Soll ich sie herholen, Benny?«
Visto schüttelte den Kopf. »Unser kleiner Ricky kommt gerade zurück.«
Ricky Cortez betrat soeben das Lokal. Er war völlig durchnässt. Von seinem Kopf und den Klamotten triefte das Wasser. Als er Visto und Frankie entdeckte, nickte er und gesellte sich zu ihnen.
»Was hast du denn gemacht?«, fragte Frankie grinsend. »Hat dich einer in den Potomac geworfen?«
»Das finde ich gar nicht komisch, Frankie. Halt die Fresse.«
Cortez funkelte Frankie böse an und warf Visto einen ängstlichen Blick zu. »Wir haben sie verloren, Benny. Die Arschgeigen sind verschwunden. Wir haben sie
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