Meade Glenn
war. Sean war nicht der mürrische, weinende Junge, der unglücklich war, weil eines der Kinder ihm ein Geschenk weggenommen hatte. Er war ein wunderbarer, kleiner blonder Junge mit einem schiefen Lächeln, der immer bereit war, Unsinn zu machen, und es liebte, seinem Vater in die Arme zu laufen, um von ihm gedrückt, gekitzelt und geküsst zu werden. Und die anderen Fotos, die Sean in seiner Marineuniform zeigten und auf denen er fast aussah wie ein Mann. Doch im Grunde war er noch ein schüchterner, uns icherer Jugendlicher, der gerade zum Mann heranwuchs und sich seinen Weg in die Welt der Erwachsenen erkämpfte.
Seans Tod und die Umstände seines Todes betrübten ihn besonders. Jack hatte von einem der Marineärzte, der sich um die Verwundeten und Toten kümmerte, erfahren, dass Sean nach der Explosion noch bei Bewusstsein gewesen war, obwohl die Detonation seinen Körper vollkommen zertrümmert hatte. Der Tod trat nicht innerhalb von Sekunden, sondern erst allmählich mit dem Schwinden seiner Sinne ein, während er mit dem Tode rang und langsam verblutete. Immer, wenn Collins dieses Bild seines Sohnes, seines wunderbaren Jungen, der so unerträgliche Qualen erleiden musste, vor Augen hatte, konnte er seinen Kummer kaum bezwingen.
Der Verlust eines Kindes bricht immer aus der Normalität des Lebens heraus und ist schwierig zu verstehen. Jedes Mitgefühl erkaltet, und im Kopf herrscht nichts als Leere. Der Schmerz hatte sich in Jacks Gesicht gegraben, und in seinem Blick spiegelte sich ein matter Schimmer seiner Einsamkeit. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass Eltern nach dem Tod eines Kindes oft unfähig seien, das Leid anderer zu verstehen. Musik, die das Blut einst in Wallung gebracht habe, bewege sie nicht mehr und stoße auf taube Ohren. All das hatte er bei sich beobachtet. Sein hartes Herz nach Seans und Annies Tod hatte ihn wahrlich betroffen gemacht.
Lange Zeit nach ihrem Tod suchte er von seiner Sehnsucht getrieben zu allen Tages- und Nachtzeiten den Friedhof auf. Er legte sich auf die kalte Erde des Grabes, um ihnen ganz nahe zu sein. Friedhofsbesucher, die ihn damals sahen, mussten geglaubt haben, er sei verrückt geworden. Und das war er eine gewisse Zeit auch. Er begann eine Therapie, doch die Ratschläge halfen ihm nicht. Das Rezept für das Beruhigungsmittel, das sein Arzt ihm verschrieb, warf er weg. Er wollte den Schmerz spüren. Er war alles, war er hatte, und nur er ermöglichte ihm, das Glück seines vergangenen Lebens in seiner ganzen Intensität nachzuempfinden. Obwohl ihn seine Träume noch heute ab und zu quälten, und das ganz besonders an den Sterbetagen, geschah es weniger oft.
Das hatte er Nikki zu verdanken. Nikki war mit ihren sanften Berührungen, ihrem wachsamen Blick und den mütterlichen Instinkten für ihn wie ein Fels in der Brandung. Mit ihrer Hilfe hatte er sich wieder aus seinem Schneckenhaus gewagt und war in die Welt der Lebenden zurückgekehrt. Daniels Gesellschaft erinnerte ihn an seine Vaterrolle, die er sehr genoss. Trotz alledem konnte er Nikkis Angebot nicht annehmen. Er war noch nicht bereit dazu und wusste nicht, wie er es ihr sonst hätte erklären können. Darum hatte er ihr die Wahrheit gesagt.
Umzuziehen, ein neues Leben zu beginnen und seine Frau und seinen Sohn vollkommen aufzugeben, war zu viel für ihn. Er hätte das Gefühl gehabt, sie im Stich zu lassen.
Ich vermisse dich, Annie. Ich vermisse dich, Sean.
Einen flüchtigen Augenblick blitzte vor seinem inneren Auge ein Bild auf. Es war das unscharfe Foto des kalten, harten Gesichtes des Mannes, der mitgeholfen hatte, seinem Sohn das Leben zu nehmen. Das Foto des Terroristen lag versteckt in seinem Schreibtisch. Er hatte das Bombenattentat auf die Cole mit anderen geplant und ausgeführt und war trotz intensiver internationaler Suche dem FBI entwischt.
Mohamed Rashid.
Collins sprach den Namen so hasserfüllt aus, dass er anfing zu zittern und seine Wut tief in der Seele spürte. Sein abgrundtiefer Hass versetzte ihn in Angst und Schrecken, denn er wusste um die Grausamkeit, zu der er fähig war. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, Rache zu üben, die er dann aus gutem Grund Gerechtigkeit genannt hätte. Sein Zorn war trotz der langen Trauer so übermächtig, dass er fast die Beherrschung verlor und ihm Tränen in die Augen stiegen.
Er bekämpfte die Wut und verdrängte das Bild von Mohamed Rashid aus seinem Kopf.
Es waren nicht der richtige Zeitpunkt und der rechte Ort.
Gerade heute durfte
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