Meade Glenn
seine Wut ihn nicht von der Erinnerung an seine geliebte Frau und seinen geliebten Sohn ablenken.
Nachdem er mit den Toten gesprochen hatte, atmete er tief ein, strich über den Stein, spürte, wie die Kälte in seine Finger drang, atmete aus und ließ den Stein wieder los.
Dann drehte er sich um, stieg den Hügel hinunter und ging über den Friedhof zum Tor, hinter dem Nikki wartete.
Washington, D.C.
14.15 Uhr
Elf Kilometer entfernt stieg Mohamed Rashid an der Gallery Place Station im Washingtoner Chinesenviertel aus der U-Bahn.
Er folgte der Gallery Row zwei Häuserblocks in Richtung des Geschäftsviertels, in dem reges Treiben herrschte. Nachdem er an einer Buchhandlung um die Ecke gebogen war, erreichte er wenige Minuten später in einer ruhigen Seitenstraße das öffentliche Telefon, das er ausgewählt hatte. Er trug dünne Lederhandschuhe, als er die Zelle betrat, streifte seine Uhr mit dem Metallarmband ab und legte sie oben auf das Telefon, sodass er das Zifferblatt im Auge hatte. Während der Sekundenzeiger seine Runden drehte und Rashid mit einem goldenen Ohrring spielte, griff die andere Hand nach dem Hörer.
Mit einem kurzen Blick überzeugte er sich davon, dass niemand draußen wartete, um zu telefonieren. Zu seiner Erleichterung stand dort niemand. Er räusperte sich, warf eine Münze in den Schlitz und wählte die Nummer, die er sich eingeprägt hatte. Es klingelte ein halbes Dutzend Mal, ehe eine freundliche, weibliche Stimme antwortete und das Rasseln der Münze ertönte. »Das Weiße Haus. Was kann ich für Sie tun?«
Rashid nahm den Hörer in beide Hände, hielt ihn vor seinen Mund und wartete einen Augenblick, ehe er antwortete. Er ließ den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr nicht aus den Augen.
»Können Sie mich deutlich hören?«
»Ja, Sir, ich verstehe Sie. Was kann ich für Sie tun?«
»Hören Sie mir ganz genau zu. Ich möchte nicht wiederholen, was ich Ihnen zu sagen habe. Dies ist eine wichtige Mitteilung für Ihren Präsidenten.«
Die Frau am anderen Ende der Leitung zögerte merklich.
»Ich… ich verstehe, Sir.«
»Gut. Unterbrechen Sie mich nicht. Hören Sie einfach zu und nehmen Sie zur Kenntnis, was ich sage.«
Rashid vermutete, dass die Dame an der Zentrale ihrem Vorgesetzten verzweifelt zu verstehen gab, dass sie möglicherweise bedroht oder belästigt wurde und er den Geheimdienst verständigen solle. Rashid interessierte das im Moment herzlich wenig. Er gab seine Botschaft langsam durch und erklärte ganz deutlich, was er zu sagen hatte, wobei er die Uhr nicht aus den Augen ließ, um sein Zeitlimit nicht zu überschreiten. Als er alles gesagt hatte, hängte er den Hörer sofort auf die Gabel.
Von seiner Stirn tropfte eine Schweißperle auf den Ärmel seines Blousons. Er überprüfte die Zeit. Sechsundvierzig Sekunden waren verstrichen, seit die Zentrale im Weißen Haus seinen Anruf entgegengenommen hatte. Im Grunde war es auch nicht so wichtig, aber er hatte das Telefonat so kurz gehalten, damit seine Spur nicht zurückverfolgt werden konnte. Er streifte die Armbanduhr wieder übers Handgelenk, verließ die Telefonzelle und ging an drei Häuserblocks vorbei in Richtung Südosten, bis die Straßen belebter und schmutziger wurden und er schließlich die 14. Straße erreichte. Hier gab es viele Kneipen und Fast-Food-Restaurants, und an den Straßenecken lungerten Prostituierte herum. Als Rashid an einer vorbeiging, sagte sie:
»Hast du Lust, Schätzchen? Es wird die beste Nummer deines Lebens.«
Mohamed Rashid ging nicht darauf ein und schlenderte weiter. Zwischen den Häuserreihen konnte er einen Blick auf die emporragenden Marmorsäulen des Capitol Hill und die massiven Granitfassaden von US-Regierungsgebäuden in der Ferne erhaschen. Er dachte: Wie ich dieses Land hasse. Ich hasse dieses Land abgrundtief. Die Straßen, die Menschen, die unglaubliche Arroganz und die korrupte Macht dieses Landes.
Eine Macht, die er bald zerstören würde.
Einen Häuserblock entfernt fand er eine Kneipe, die ihm jemand empfohlen hatte. Es war eine schäbige, heruntergekommene Kaschemme mit einer beleuchteten Budweiser-Reklametafel im Fenster. Er betrat die dunkle Höhle, in der es nach Bier und Marihuana stank. Nur sechs Gäste hielten sich hier auf. Sie starrten alle auf das Fernsehgerät über der Theke, in dem lautstark ein Basketballspiel kommentiert wurde.
Einer der Gäste, ein kleiner dunkelhäutiger Mann in einer schwarzen Lederjacke und mit einer Baseballkappe auf dem
Weitere Kostenlose Bücher