Meade Glenn
ihr den leicht vorwurfsvollen Ton nicht übel. Kelly, eine warmherzige Frau mit wunderschönem Haar und sorgfältig manikürten Fingernägeln, fühlte sich Männern immer sehr zugeneigt, ganz gleich, ob es nette Burschen oder Idioten waren.
»Und was ist passiert?«
Kelly warf ihrem Mann und Collins, die sich noch immer unterhielten, einen Blick zu und flüsterte: »Jetzt nicht. Wie wäre es, wenn du mir hilfst, die Gläser nachzufüllen?«
Als sie später im Garten allein in der Sonne saßen, sagte Nikki: »Und was hat Daves Freund Jack nun erlebt? Arbeitet er auch beim FBI?«
Kelly nickte und zündete sich eine Zigarette an. »Er arbeitet im Dezernat für Terrorismusbekämpfung.«
»Und was ist passiert?«
Kellys Miene verdunkelte sich. »Erinnerst du dich an den Anschlag auf die USS Cole? «
Natürlich erinnerte sich Nikki daran. Jeder hatte davon gehört.
Alle Zeitungen und Fernsehsender im ganzen Land hatten ausführlich darüber berichtet. Siebzehn junge amerikanische Matrosen waren getötet worden, als Flugzeuge mit Selbstmordattentätern an Bord versucht hatten, ihr Schiff, das in Aden im Hafen lag, in die Luft zu sprengen. »Klar.«
«Einer der getöteten Matrosen war Jacks Sohn.« Kelly schüttelte betrübt den Kopf. »Er war gerade mal achtzehn Jahre alt, Nikki. Noch ein halbes Kind, das soeben die Highschool verlassen hatte. Es war sein erster Job in Übersee. Sean war Jacks einziges Kind. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ihn das mitgenommen hat.«
»Das… das tut mir Leid.« Nikki, die wegen ihrer gereizten Stimmung Schuldgefühle verspürte, erschauerte. Die Angst, das eigene Kind zu verlieren, belastete sie wie alle Eltern. Da der Gedanke einfach unerträglich war, verdrängte sie ihn stets. »Das war für ihn und seine Frau sicher ein schwerer Schlag.«
»Das war das Schlimmste daran.«
»Wie meinst du das?«
»Seine Frau Annie hat ihren Sohn Sean abgöttisch geliebt. Es war für beide schwer, mit dem Verlust fertig zu werden, doch Annie schien Seans Tod gar nicht überwinden zu können. Sie wurde in einer Privatklinik in Bethesda medikamentös behandelt. Jack besuchte sie jeden Tag. Sie wartete immer auf einer Bank im Park auf ihn. Eines Tages saß sie nicht dort. Der Arzt sagte, sie habe ihren Lebenswillen verloren. Das kann passieren. Manche Menschen werden mit der unglaublichen Belastung, einen geliebten Menschen zu verlieren, nicht fertig.
Vermutlich kann man es nur verstehen, wenn man selbst Kinder hat und begreift, was es bedeuten würde, einen Sohn oder eine Tochter auf diese Weise zu verlieren.«
Nikki fröstelte. Sie wusste nicht, wie sie mit Daniels Verlust fertig werden würde und ob ihr Lebenswille ungebroche n bliebe.
Vielleicht käme ihr der Gedanke an Selbstmord. Vielen Müttern könnte es so ergehen, und vor allem wenn sie nur ein einziges Kind hatten. »Ich habe das Gefühl, als ob eine Scheidung doch nicht das Schlimmste ist, was einem passieren kann.«
Kelly strahlte sie an und sagte in ihrem warmen Akzent, der ihre Herkunft aus Tennessee verriet: »He, versuche ich dir das nicht schon seit Monaten zu erklären? Und ich spreche aus Erfahrung. Glaub mir, es gibt viel Schlimmeres. Vergiss also deine Probleme und ge nieß den Abend.«
Nikki schaute in die Küche, wo Jack Collins neben ein paar Männern stand, die sich über ein Footballspiel unterhielten.
Jack, der sich an seinem Bier festhielt, wirkte ein wenig abwesend.
Später am Abend hatte Kelly die beiden einander vorgestellt.
Nikki fielen zuerst Jacks hellblaue Augen auf, die aussahen, als hätten sie schon einen Blick in die tiefsten Abgründe des menschlichen Herzens geworfen. Ein zäher, aber netter Bursche mit einer sentimentalen Ader, der Nikki irgendwie gefallen hatte. Als sie sich zwei Monate später bei Kelly wieder sahen, wurde aus der anfänglichen Sympathie Freundschaft. Fast sechs Monate lang gingen sie ab und zu ins Restaurant, bis es eines Nachts im August passierte.
Nikki hatte ihn bei sich zu Hause zum Essen eingeladen. Er blieb über Nacht und schlief im Gästezimmer. Sie ging zu ihm, um ihm eine gute Nacht zu wünschen, und legte sich neben ihn ins Bett, weil sie sich danach sehnte, in den Arm genommen zu werden. Aus der Umarmung wurde schnell mehr, und ehe sie sich versahen, schliefen sie miteinander. Nachher erzählte er ihr, dass sie die erste Frau gewesen sei, mit der er nach dem Tod seiner Frau geschlafen habe. Sie glaubte ihm, und es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie
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