Meagan McKinney
»Und da niemand sonst auf der Party
auftauchen wird, ist es wohl auch nicht nötig, dein Bedauern schriftlich zu
übermitteln.«
Seine Worte
entsetzten sie. Obwohl er wahrscheinlich damit recht hatte, daß niemand kommen
würde, mochte sie einfach nicht glauben, daß die Leute so grausam waren. Doch
es war offenbar eine Tatsache. Und die junge Mara Sheridan würde durch diesen
harten Schlag vernichtet werden.
Alana war
nicht so grausam. Sie wollte nicht zu dieser ungerechten, gesellschaftlichen
Ächtung beitragen. So sagte sie nur: »Ich werde gehen!«
»Nein!«
»Doch!« Sie hob ihr Kinn und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. »Ich
gehe wegen Mara Sheridan, aber
ich tue es vor allem für mich! Um mich dir und Mrs. Astor zu widersetzen.«
»Ich
verstehe.« Ruhig trat Didier einen Schritt zurück. Ohne eine Warnung holte er
aus und schlug ihr fest ins Gesicht.
Alana
stöhnte auf und berührte ihre Wangen. Niemand zuvor hatte sie je geschlagen.
Der Schock war beinahe größer als der Schmerz.
»Wage es
nicht, dich mir zu widersetzen«, flüsterte Didier, als sie auf den Hocker vor
ihrem Ankleidetisch sank und sich ihre klopfende Wange rieb. Er hatte so fest
zugeschlagen, daß ihr übel wurde. Sie wußte nicht, ob sie ohnmächtig werden
oder zu ihrem Waschtisch laufen sollte.
»Ich komme
morgen vorbei, um zu sehen, wie es dir geht.« Didier sprach ruhig und normal,
als würde sie nicht geschlagen und gekrümmt auf dem Hocker sitzen. »Wir fahren
nach dem Tee mit dem Zweispänner aus.«
»Ich werde
heute abend auf diesen Ball gehen«, sagte sie in einem letzten Versuch, sich
aufzulehnen.
»Das wirst
du nicht«, erwiderte er. Seine Augen sahen auf ihren gekrümmten Rücken herab,
und ihre ins Korsett geschnürten Kurven schienen ihn unter dem glänzenden gelben
Stoff zu locken. »Oh, was für ein Preis, den Anstand zu wahren«, flüsterte er,
während seine Hand zu ihrer schmalen, festen Taille glitt. Sie stieß ihn
angeekelt fort, und er ging widerwillig, wobei er die Tür hinter sich
abschloß.
Alana
brauchte einige Zeit, bis sie sich einigermaßen erholt hatte. Ihr Kopf
schmerzte abscheulich, und ihre Sehfähigkeit war noch immer eingeschränkt. Sie
ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Beim Anblick all dieser erdrückenden Pracht
wuchs ihre Sehnsucht nach dem kleinen, weißen Haus aus ihren Träumen. Sie
würde diesen Mann suchen, und wenn sie sein Gesicht sah, würde sie ihn
augenblicklich erkennen. Er würde der Mann sein, mit dem sie ihre Sorgen und
ihre Triumphe teilen konnte. Er würde sie lieben, und gemeinsam konnten sie
sich ein Leben aufbauen. Ja, eines Tages würde all das eintreten, schwor sie
sich, und ihr Traum spendete ihr ein wenig Trost. Eines Tages würde sie ihr
Glück finden – trotz Baldwin Didier!
Doch sosehr
ihr Geist auch rebellierte, die verschlossene Tür machte ihre Pläne
schließlich zunichte.
Besiegt und
verstört hob Alana das zersprungene Bild ihrer Schwester auf. Kurz darauf
klopfte Margaret an die Tür, fragte flüsternd nach ihrem Befinden und flehte,
sie einzulassen. Hilflos und wütend lehnte Alana an ihrem Ankleidetisch, doch
sie war unfähig zu weinen. Nur das Bild ihrer Schwester machte ihr ein wenig
Mut, als sie es an ihre Brust drückte, ohne darauf zu achten, daß sich die
Glassplitter in dem Stoff ihres Kleides verfingen.
Irgendwie,
irgendwo mußte es einen Ausweg aus der Hölle geben, zu der ihr Leben geworden
war. Aber so sehr sie auch nachgrübelte, es fiel ihr keiner ein. Sie hatte
offenbar wirklich keine Wahl, außer das zu tun, was ihr Onkel wollte. Die
Pflege ihrer Schwester kostete zuviel, mehr als sie jemals verdienen konnte.
Und der Gedanke, daß ihre Schwester in einer dieser furchtbaren öffentlichen
Anstalten untergebracht werden konnte, war ihr unerträglich.
Traurig
lehnte sie ihre heiße Stirn an den Rahmen ihres Ankleidespiegels. Der Tod ihrer
Eltern hatte ihre Schwester aus der Bahn geworfen. Alana war so dankbar für
das Heim in Brooklyn gewesen, in dem Christabel die beste Pflege bekam. Selbst
ihr Onkel hatte eingesehen, daß dies der beste Ort für ihre Schwester war. Nun
konnte Christabel wenigstens in einer ruhigen Umgebung ihre Jugend erleben,
dort in diesem Heim, behütet und sicher vor dem Wahnsinn, den ihr Onkel
um Alana herum aufgebaut hatte.
Alana
betrachtete im Spiegel die reich verzierten Vorhänge an ihrem Fenster. Dann
strich sie gedankenverloren über das rote Mal, das Didiers Schlag auf
ihrer Wange hinterlassen
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