Mecklenburger Winter
soll ich dich lieber „Schatzi“ nennen?“ Kai schmunzelte. „Ich finde Schneehase besser. Immerhin hast du mich aus einer Schneewehe gezogen, in der ich sonst jämmerlich erfroren wäre.“
„Wenn du an Hasen denkst, denkst du ganz gewiss nicht an Schnee“, vermutete Leon nicht ganz zu unrecht und ließ sich neben Kai sinken. Mit Schwung warf dieser die Bettdecke über sie und kuschelte sich an Leon heran, der nach einem winzigen Zögern ebenfalls dichter heranrückte und seinen Kopf an Kais Hals legte. „Ich denke dabei immer nur an dich“, flötetet Kai lieblich und nuschelte in die dunkelblonden Haare hinein: „Wann immer ich an Hasen denke.“
„Was auch immer du jetzt gerade denkst, vergiss es.“ Leon befreite sich brummend aus der Umarmung. „Du musst morgen dieses Gewässer elf Mal umrunden und ich will ganz bestimmt nicht Schuld daran sein, wenn du bei der Hälfte schlappmachst.“
„Ach, aber das wäre eine echte Entschuldigung. Beim Ficken verausgabt“, seufzte Kai und schloss träumerisch die Augen. „Was für ein wundervolles, anaerobes Training.“ Etwas Weiches traf ihn am Kopf und irritiert öffnete er die Augen. Leon grinste, schaltete das Licht aus, legte das Kissen zurück und drehte Kai demonstrativ den Rücken zu.
„Hier wird geschlafen. Nur geschlafen“, erklärte er entschieden. „Alles zu seiner Zeit.“ Unwirsch brummte Kai und rieb sich gespielt die Stirn, horchte jedoch nachträglich auf.
„Heißt das, wenn morgen kein Wettkampf wäre, würdest du ...“ Die Worte waren mal wieder zu schnell herausgerutscht. Kai biss sich auf die Lippe und lächelte verlegen. Er starrte Löcher in Leons Hinterkopf, doch dieser rührte sich nicht. Seufzend legte sich Kai zurück. Sein Herz klopfte noch zwei schnellere Schläge und kehrte zum Ruhemodus zurück. Ach ein bisschen träumen darf ich schließlich. Ist nicht strafbar und irgendwann … irgendwann ...
„Wenn danach kein Wettkampf ist“, murmelte Leon kaum hörbar. „Dann ja.“
45 Runde um Runde
„Go, go, go!“
Feiner Nieselregen tauchte alles in diesiges Grau und Kai blinzelte die Tropfen fort, welche ihm beständig in die Augen rannen. Die Zuschauer am Rande, die den Läufern Anfeuerungsrufe zuwarfen, waren nur verschwommen zu sehen und er hatte noch zweihundert Meter zu überwinden, bis er unter ihnen Leon suchen konnte. Sechs Runden hatte er bereits hinter sich, knapp dreiundzwanzig Kilometer und es sah gut aus. Obwohl dieser Lauf nur Training war, erfasste der ehrgeizige Teil in ihm die Anzahl der vorauslaufenden Teilnehmer und deren Abstände ganz genau.
Lars lief etwa einen Meter vor ihm. Sie wechselten sich alle zwei Runden in der Führungsarbeit ab. Allerdings schien Lars heute nicht gut drauf zu sein, denn wenn er führte, verloren sie an Tempo. Kai schloss dichter zu ihm auf. Die Spitzengruppe bestand aus fünf anderen Läufern, die in Sichtweite vor ihnen in einer Dreier- und Zweiergruppe liefen. Kai wusste, dass er sich noch Zeit lassen konnte, bevor er nach vorne gehen würde, behielt die Konkurrenten jedoch im Blick. Erst im letzten Drittel des Rennens würde er angreifen. Wenn bis dahin alles gut gelaufen war.
Er fühlte sich hervorragend. Sein Rhythmus war gleichmäßig, sein Puls konstant und das feuchte Wetter störte ihn nicht. Außer vielleicht die nassen Füße, denn auf der Strecke hatten sich zahlreiche Pfützen gebildet, durch die sie laufen mussten. Dennoch war alles besser als die langen Zeiten Frost und Schnee, die endlich hinter ihm lagen.
Kai hob den Kopf, ohne aus dem Takt zu kommen, und spähte hinüber zu der Gruppe Menschen in Regenjacken und -mänteln, in der er seine Freunde und Leon wusste. Er hatte leider nicht jede Runde einen Blick auf diesen werfen können, er war zu schnell an ihnen vorbeigelaufen. Leon trug eine etwas zu große, schwarze Jacke, die er sich von Dirk geliehen hatte, denn er hatte keine eigene Regenjacke dabeigehabt und verschwand optisch in der Menge. Kai musste immer erst nach Susannes blauer Jacke suchen, um ihn daneben zu entdecken.
Es war unmöglich, das Graugrün seiner Augen zu erkennen, aber Kai bildete es sich ein, wann immer er einen Blick auf Leon erhaschte. Augen, die ihn sehnsüchtig ansahen, ein feines Lächeln auf den Lippen, Bewunderung im Blick. In Wahrheit verschwand das Gesicht in den Tiefen der Regenjacke. Allerdings hatte er ein paar Mal gewinkt.
Hoffentlich langweilte er sich nicht zu Tode und fror. Es war bestimmt recht
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