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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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eintönig, den Läufern zuzusehen, die in endloser Anzahl an ihnen vorbeiliefen. Susanne hatte warmen Tee mitgenommen und leckeren Kuchen, sodass Kai hoffte, Leon würde es zumindest erträglich finden. Ein Lauf war schließlich nicht zu vergleichen mit der Dynamik und Spannung beim Springreiten. Vermutlich ist dies der erste und einzige Wettkampf, den Leon sich antut, dachte Kai missmutig. Egal, er war da, und Kai wusste, dass seine Augen ihm folgten, wann immer er an ihnen vorbeilief. Und er erinnerte sich an Leons Worte letzte Nacht, die es ihm schwer gemacht hatten, Schlaf zu finden. Er hatte kein Wort darüber verloren, wollte Leon nicht durch unüberlegte Sprüche zurückschrecken lassen. Das Versprechen war da und er würde es irgendwann einlösen dürfen.
    Der Gedanke beflügelte Kais Laufschritte von Runde zu Runde. Lars hingegen schien zunehmend Probleme zu haben. Besorgt schob sich Kai auf der nächsten Runde neben ihn und schaute ihn fragend an. Lars lief mit schmerzverzerrtem Gesicht und griff sich fluchend an den Oberschenkel: „Verdammte Scheiße, Krampf.“ Er humpelte und stoppte ab. Kai hielt besorgt neben ihm an. Zwischen zusammengebissenen Zähnen zischte Lars ihn wütend an: „Bist du jetzt etwa meine Krankenschwester? Du kannst nichts tun, du Idiot. Los, renn gefälligst weiter.“ Obwohl er wusste, dass Lars Recht hatte, zögerte Kai noch einige Sekunden, bis Lars ihn anpfiff: „Was stehst du hier noch rum? Willst du mich etwa heulen sehen, oder was?“
    Grinsend nickte Kai Lars zu. So schlecht konnte es diesem nicht gehen, wenn er ihn noch anmachen konnte. Mit großen Schritten lief er los. Die Helfer vom Roten Kreuz würden sich um Lars kümmern, dennoch rief Kai seinen Freunden zu, als er sie passierte: „Lars hat einen Krampf bekommen.“ Basti stieß ein lautes: „Verdammt, so ein Weichei“ aus und machte sich im selben Moment auf den Weg zu seinem Freund. Kai ergatterte aus dem Augenwinkel noch einen herrlich besorgt wirkenden Blick Leons, ehe er seinen Lauf fortsetzte.
    Die Spitzengruppe hatte inzwischen ihren Vorsprung erweitert und Kai konzentrierte sich in den folgenden Runden ganz darauf, ihnen immer näher zu kommen. Bald war er auf fünf Meter an der Dreiergruppe dran, deren Führer jedoch bald darauf zurückfiel. Kai ging an ihnen vorbei, bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Nummer 187 sich an seine Fersen heftete. Soll er doch, es sind noch zwölf Kilometer. Mal sehen, ob er das Tempo mithalten kann.  
    Vier Kilometer verfolgte ihn der Schatten der Nummer 187, dann ließ dieser sich endlich zurückfallen. Kai konzentrierte sich auf die beiden Läufer vor ihm, Nummer 222 und 190, die sich ab und an nach ihm umsahen und ebenfalls das Tempo merklich angezogen hatten. Sehr zu Kais Freude spürte er noch gar keine Müdigkeit. Seine Beine bewegten sich von alleine und er genoss das wundervolle Gefühl, dahinzugleiten, beinahe losgelöst von seinem Körper, der routiniert funktionierte. Das gleichmäßige Geräusch seines Atems, das wohlbekannte Pochen seines starken Herzens hatten etwas ungemein Beruhigendes. Dies war der Rausch, den er so sehr liebte, das Gefühl unendlich laufen zu können, den Körper weiter und weiter zu treiben, über jede Grenze hinaus. Unbesiegbar zu sein.
    Kai vergaß die Menschen am Rande, ja sogar nach Leon zu sehen. Seine Schritte wurden länger und er vernahm bald schon den keuchenden Atem von Nummer 222, als er sich unaufhaltsam näher schob. Er kannte den Läufer flüchtig, konnte sich jedoch nicht an seinen Namen erinnern. Nummer 190 hingegen, der in Führung lief, kannte er sehr wohl und wusste, wie gut dieser noch gegen Ende beschleunigen konnte. Kein Profiläufer, aber ein guter Amateur, der allerdings nur Marathon und Halbmarathon lief. Kai verzog schmunzelnd den Mund. Es war im Grunde völlig egal, ob er bei diesem kleinen Wettkampf als Erster durchs Ziel kam. Es ging ihm nur um einen Trainingsreiz. Das Training nach der Wettkampfmethode war äußerst effektiv und gerade nach dem langen Winter wollte er gerne wissen, wo er stand. Aber es gab einen Faktor, der ihn reizte, als Erstes die Ziellinie zu kreuzen, der viel wichtiger erschien: Leon war da und sah zu. Wenn er als Erster ankam …
    Kai zog das Tempo an. Die Schritte wurden noch länger, sein ganzer Körper schien tief einzuatmen und sich zu strecken. Er liebte diesen Moment. Noch zwei Runden. Sein Körper reagierte selbstständig und beschleunigte. Er flog. Vorbei an dem ersten Läufer

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