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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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unruhig auf der Unterlippe herum.
    „Ich … es tut mir leid.“ Seine Augen bewegten sich unruhig, der Blick huschte unstet über Kais Gesicht, wollte keinen Fokus finden. „Ich … ich liebe dich auch. Wirklich, aber …“ Er brach hilflos ab. Die Worte schlugen wie Meteoriten in Kai ein, mit purem Kryptonit gefüllt. Sie explodierten in zärtlichen Gefühlen, drohten sein Herz vollends zu sprengen. Dennoch konnte er sich nicht rühren.
    Leon sank auf die Couch und fuhr sich in einer verzweifelten Geste mit beiden Händen durch die Haare.
    „Scheiße!“, stieß er hervor. „Er hat Recht gehabt. Mit allem. Es ist alles so, wie er es gesagt hat, oder?“ Die schlanken Finger zerrten an den Haaren, drohten es büschelweise auszureißen. Kais Füße konnten oder wollten sich kaum bewegen, schienen Tonnen zu wiegen und ignorierten jeden Befehl zur Umkehr. Innerlich zitterte er.
    „Blödsinn“, brachte er rau hervor und schaffte es, seine Hüfte in die entgegengesetzte Richtung zu drehen. Widerwillig folgte ein Fuß. Noch immer klammerte sich eine Hand an den Türrahmen. „Du wurdest geboren, wie du bist. Schwul oder bi oder hetero. Du wurdest nicht so, nur weil du den Nachbarsjungen abgeknutscht hast.“ Leon hob ruckartig den Kopf, starrte ihn sekundenlang entsetzt an. Sein Geheimnis, erkannte Kai, verraten und leichtsinnig ausgeplaudert von Bodo, ein Schlüsselerlebnis für Leon. Vielleicht nicht nur für diesen.
    Leon senkte den Blick schluckte mehrfach. „Er ist total ausgerastet. Wir … wir haben es doch nur ausprobieren wollen. Ich dachte echt, er würde mich … totschlagen.“ Die Worte kamen schleppend, stoßweise. Zu lange in Schweigen gehüllt, nicht länger zu kontrollieren. „Meine Mutter hat ihn von mir weggezerrt. Danach hat er wochenlang nicht mit mir geredet und dann ... fing es an.“ Leons Verzweiflung lag spürbar in der Luft. Seine Worte malten Bilder, vor denen Kai liebend gerne die Augen geschlossen hätte, die sein Herz zerfetzten. Und endlich konnte er sich bewegen, trugen ihn seine Füße zur Couch. Langsam ließ er sich neben Leon nieder. Nicht ganz nahe, nicht weit entfernt.
    „Egal, was ich machte, immer fand er etwas auszusetzen. Dabei habe ich es echt versucht. Ich habe es wirklich versucht.“ Instinkte, viel älter als Kais Verstand, noch schneller als seine Zunge, brachten ihn dazu, den Arm um Leon zu legen, die letzten Zentimeter zu überwinden. Ein trockenes Schluchzen. Das Geräusch verengte seine Kehle bis zur Atemlosigkeit. Kein bisschen Luft, erst recht kein Wort schien mehr hindurchzupassen. Ihm war übel und kalt.
    Grausamkeiten gab es nicht nur im Krieg, sondern mindestens ebenso oft in der Familie. Man musste niemanden mit einer Waffe verletzten, um ihm schwere, dauerhafte Wunden zuzufügen. Trotz seiner tauben Zunge musste Kai die Worte formulieren. Sie würden schmerzen, die Wunde aber vielleicht auch ausbrennen und Leon die Möglichkeit zur Heilung geben. Irgendwann.
    „Dein Vater ist - und nein, es tut mir nicht leid - ein homophober Arsch.“ Leon zuckte nicht einmal zusammen, nein, Kai hatte eher das Gefühl, er würde sich dichter an ihn drängen. „Du bist, wie du bist. Nicht wie er dich gerne hätte. Du kannst dich nicht verbiegen und verleugnen, nur um dem Bild zu entsprechen, welches er gerne von dir hätte.“ Leons Brust hob sich schwer. Ein tiefer Atemzug kam ihm von den Lippen, gefolgt von einem schweren Schlucken. Er kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung und Kai wünschte sich, er würde sie aufgeben, sich fallen lassen, zu dem kleinen Jungen werden, der erleben musste, wie sein Vater ihn von sich stieß und nie wieder an sich heranließ.
    „Du bist, was du bist. Und wenn er nicht damit klarkommt, sein Pech“, schloss Kai. Noch immer hob und senkte sich Leons Brust in schwerfälligen Atemzügen, doch er weinte nicht, kein Laut kam ihm von den bebenden Lippen. Er kann es nicht , erkannte Kai. Nicht jetzt, nicht ohne jeden Halt zu verlieren und total zusammenzubrechen. Er braucht Zeit. Kai erhob sich, ließ die Hand noch auf Leons Schulter ruhen. „Schlaf erstmal. Morgen schaut es schon anders aus“, flüsterte er und hasste sich für den dämlichen Spruch. Gar nichts ist morgen anders. Leons Probleme lösen sich nicht auf, nur weil ein paar Stunden mehr dazwischen liegen.
    „Ich bin früh auf, muss noch eine Runde Radfahren.“ Kai schaffte es, den gewohnten Tonfall zu treffen. Ein bisschen Normalität, die Leon helfen würde, nicht ganz in

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