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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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latente Verzweiflung aus seinen Augen verschwunden. „Beeil dich, sonst ist alles weg. Ich habe ziemlich Hunger.“
    „Oh weh, ich mach so schnell ich kann, aber bitte lass mich nicht verhungern. Wenigstens eine Nudel gehört mir“, jammerte Kai. Eingedenk Leons großem Appetit waren seine Befürchtungen durchaus berechtigt, fand er. Leon hob den Löffel, klaubte eine Nudel herunter und hielt sie Kai hin. „Diese ist dann für dich. Mach schon.“ Schmunzelnd ließ er sie in den Topf zurückgleiten und Kai tat, wie ihm geheißen.
    Sie sprachen nicht viel während des Essens und Kai fand, dass Leon für seine Verhältnisse recht wenig aß. Er selbst sprach den Nudeln gut zu. Leon hatte sie für ihn gekocht, da schmeckten sie gleich doppelt so gut. Der Rest seiner Pläne schien auch gut aufzugehen, denn sie saßen nebeneinander auf der Couch und sahen sich einen Film an. Lediglich der Körperkontakt ließ nach Kais Geschmack zu wünschen übrig. Allerdings ergriff er auch nicht die Initiative. Wenn sie erst im Bett lagen und das Licht ausgeschaltet war, dann würde er Leon einfach an sich ziehen und ihn küssen und alles würde wieder gut sein. Ganz bestimmt.
    „Danke“, unterbrach Leon plötzlich Kais Gedanken und wandte sich diesem zu. „Ich finde es toll von dir, dass ich erstmal hierbleiben kann.“
    „Logisch. Ich habe ja auch was davon.“ Demonstrativ rieb sich Kai über den gut gefüllten Bauch. „Wie schaut es morgen aus? Soll ich dich zur Schule bringen? Oder willst du lieber noch nicht hingehen?“ Leon verzog den Mund und strich sich vorsichtig über den Bluterguss. „Sieht man noch ziemlich deutlich, oder?“ Nickend bestätigte Kai. „Dann bleibe ich besser noch weg. Die fragen sonst alle blöd nach.“
    „Hast du deine Schulsachen überhaupt mitgenommen?“ Leon bejahte und seufzte: „Leider hat er mir den Schlüssel für mein Auto abgenommen, aber vielleicht kann ich Bodo bitten, es mir herzufahren. Dann mache ich dir ab Montag keine Umstände.“
    „Du machst keine Umstände.“ Behutsam legte Kai seinen Arm um Leons Schultern. Vorsichtig, als ob dieser zerbrechen würde, zog er ihn an sich. „Wir kriegen das schon hin. Alles. Du wirst sehen.“ Oh, es tut so gut, Leon zu spüren, seinen Duft einzuatmen, seine Körperwärme zu fühlen. Endlich ist da nichts mehr zwischen uns.  
    Leon schluckte mehrfach, und obwohl er sich nicht aus der Umarmung löste, spürte Kai, wie er sich anspannte.
    „Wenn … wenn es dir nichts ausmacht“, sagte er leise, „dann … dann schlafe ich lieber auf der Couch.“ Der Vorschlaghammer traf Kai mitten ins Gemächt und er zuckte schmerzvoll zusammen. Eiswasser schäumte durch seine Adern, ließ seinen Körper in Sekundenbruchteilen gefrieren. Er brauchte ein paar Augenblicke, um zu verarbeiten, was Leon gesagt hatte.
    „Klar. Natürlich. Ja. Wenn du willst“, stammelte er und löste hastig den Arm. Schmerzen durchzogen seinen ganzen Leib, so als ob man tausend Messer ins Herz gestoßen, herumgedreht und Salzsäure hinterhergekippt bekommen würde. Nein, die Barriere war nicht fort, sie schien ihm höher als je zuvor.
    „Dann … Ich hole dir mal Bettzeug, okay?“ Er musste hier weg, bevor er erstickte, bevor sein Herz den Weg hinausfand. Leon schläft lieber alleine. Ohne mich, fern von mir. Viel ferner als je zuvor hatte Kai das Gefühl.
    Auf der Couch.

 
55 Vor dem Abgrund
     
    Seine Schritte waren schleppend, jedes Gelenk fühlte sich tonnenschwer an, als ob er mindestens achtzig wäre. Kais Herz hatte sich zu einem kleinen, harten Ball zusammengezogen, der wahlweise ex- oder implodieren wollte.
    Leon wies ihn zurück, wollte ihn nicht bei sich haben, nach allem, was er für ihn getan hatte. Seine Gefühle schwankten zwischen Wut, Verärgerung, Trauer und Verzweiflung. Er wollte Leon packen, küssen, ihm überdeutlich zeigen, was er für ihn empfand. Wenn Worte nicht ausreichten, konnten es Taten ... vielleicht. Aber Leon war auf Distanz gegangen, hatte sich erneut in seinen Bau verkrochen, sich abgeschottet und würde vermutlich nur noch mehr den Kopf und Schwanz einziehen, wenn Kai ihn bedrängte.
    Und er verstand ihn. Oh ja, Kai verstand Leon nur zu gut. Es war alles zu viel und alles auf einmal. Ihr Streit, die wochenlange Schweigelast und dann die gewalttätige Eskalation mit seinem Vater. Die Flucht vom Hof hatte Leon nicht befreit sondern ihm zusätzliche Last aufgebürdet. Und Schuldgefühle. Nicht nur gegenüber seinen geliebten

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