Mecklenburger Winter
aufgejault hätte. „Pass auf den Leo auf, ja?“
„Klar“, fiepte Kai. Was anderes traue ich mich ganz bestimmt nicht. Bitte lass ein paar Knochen heil, ich brauche die Schulter noch. Zum Glück ließ der Druck auch schon nach und Bodo stieg eilig aus. Er nickte Leon zu, brummte etwas und stampfte davon, die Hände tief in seinem Blaumann vergraben.
„Scheiße.“ Kai seufzte und massierte sich die Schulter. „Ich möchte gar nicht wissen, was der mit jemandem macht, der dir was tun will. Aua! Verdammt, ich glaube, er hat mir das Schlüsselbein gebrochen.“
„Weichei“, kommentierte Leon mitleidlos, blickte seinem Bruder mit nachdenklichem Gesicht hinterher. „Fahr los, oder soll ich, damit du besser jammern kannst?“ Da war es, das freche Funkeln in den Augen, das spöttische Verziehen des Mundes, welches Kai an seinem Schneehasen liebte. Es verdrängte Sorgen, schob Befürchtungen in die hinterste Schublade, ignorierte familiäre Probleme und ließ Platz für den Traum von einer gemeinsamen Zukunft. Nur zu gerne träumte Kai mit. Dafür war er auch bereit, den Schmerz in der Schulter zu ignorieren. Der heutige Abend gehörte ihnen. In ihrer Höhle, ihrer Zuflucht, den vier Wänden, auf der Couch, im Bett. Gemeinsam.
58 Eins ausgewischt
Kai summte fröhlich vor sich hin. Das Leben war perfekt. Gerade hatte er den Kredit für die neue Chest Press bewilligt bekommen, die Sonne schien vom Himmel, die Vögel sangen, Frühling lag satt und warm in der Luft und Leon, sein wunderbarer Leon, lebte seit einer Woche bei ihm.
Lachend trat er in die Pedale. Sein neuer Sponsor hatte ihm großzügigerweise nach dem Smart, der bei dem Traumwetter eher daheim herumstand, nun auch noch ein neues Fahrrad gesponsert.
„Challenge, ich komme! Seht euch vor. Dieses Jahr knacke ich die Bestzeit“, brüllte Kai gut gelaunt in den Wald entlang der Landstraße. Er fühlte sich euphorisch, überdreht und sprühte vor Energie. Nach dem letzten Muskelkater im Oberschenkel hatte er das Training ein wenig reduziert, eine Verletzung konnte er wahrhaftig nicht gebrauchen. Es war nicht wieder aufgetreten, und außer, dass er nicht besonders gut schlief und ständig unter Strom stand, ging es ihm hervorragend. Den Umstand schrieb er eher seiner freudigen Erregung zu, seinen geliebten Leon endlich jede Nacht neben sich zu haben.
Wenn sein eigener Körper noch vor Tatendurst brannte und nicht zur Ruhe kommen wollte, schnarchte Leon neben ihm selig vor sich hin. Kai liebte es, ihn anzusehen, jede Sekunde ihres letzten Liebesspiels Revue passieren zu lassen und sich mehr auszumalen. Noch ging Leon nicht wieder völlig aus sich heraus, und hauptsächlich Mund und Hand waren bei den intimsten Zärtlichkeiten ausführend, allerdings war Kai sehr zuversichtlich, dass Leons Neugierde bald siegen würde.
Das Leben war toll. Schwules Glück färbte die Welt rosarot. Der Frühling in Mecklenburg war zudem einem wunderbaren Sommerhauch gewichen und der lange Winter endlich vergessen. Das Land erblühte und bezauberte mit seinem besonderen Charme. Selten zuvor hatte Kai sich so zuhause und angekommen gefühlt. Dies war wirklich seine Heimat. Leon ging wieder zur Schule und - typisch für ihn - hatte er kein Wort darüber verloren, wie es ihm dort ergangen war. Wenn er mit Bodo telefonierte, dann immer, wenn Kai nicht anwesend war. Das Thema Hof, Vater und restliche Probleme existierte derzeit nicht. Sehr wohl hatte Kai jedoch bemerkt, wie sehr ihm die Pferde fehlten.
Einmal war er zu Christel gefahren und Kai hatte leider nicht mitkommen können. Arbeit ging vor. Der Tag hatte ihm gutgetan. Leon kam wie verwandelt zurück, erzählte, nein, schwärmte von seinem Ritt, von Ben, was sie beide erlebt hatten. Um ein Haar wäre Kai eifersüchtig geworden, doch Leons folgende offene Zärtlichkeit und seine außergewöhnliche Eigeninitiative hatten ihn bald schon versöhnt.
Heute würde Kai als Erster daheim sein. Er plante, ihnen einen leckeren Salat für Triathleten zu Nudeln zu machen und hatte extra für Leon Kuchen vom Bäcker mitgenommen, damit dieser auch satt werden würde.
„We are the champions“, vor sich hinsummend, bog Kai schwungvoll in seine Auffahrt ein, sprang haargenau berechnet vor dem Unterstand des Fahrrads ab und nutzte den Schwung, um es elegant einzuparken. In ihm kribbelte alles vor Unruhe und am liebsten wäre er andauernd nur am rennen, hüpfen, machen und tun. Vorsichtig balancierte er Leons Kuchen ins Haus und
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