Mecklenburger Winter
Anneliese seufzte und nippte an ihrem Kaffee. „Ja, hatte er. Zumindest in der Hinsicht. Und ganz genau daran hat Leon zu knabbern, denn sein Vater hat alles getan, um ihm einzureden, das es schlecht ist schwul zu sein, verwerflich, unmännlich. Und ein Verbrechen, einen anderen Mann zu lieben. Wie mies Leon sich fühlen muss, nur weil er einen männlichen Körper begehrt. Er hat es geschafft, dass sich Leon wie der letzte Dreck vorkommt und ewig nicht einmal gewagt hat, sich seine Gefühle einzugestehen.“ Kai sprang auf. In ihm war so unglaublich viel Wut und er fürchtete wirklich, für einen Moment die Kontrolle zu verlieren. Das war nicht er. So schnell fuhr er sonst nicht auf. Er war sich selbst unheimlich.
„Er hat versucht … ihn zu schützen“, wandte Anneliese ein und Tränen glitzerten in ihren Augenwinkel. „Das können Sie nicht verstehen. Er wollte doch nur nicht, dass Leonard ...“ Sie brach ab und wischte sich hastig die Tränen fort. „Was auch immer ihr Mann versucht hat, er hat ihm das Leben zur Hölle gemacht“, fuhr Kai ungerührt fort. Sein Herz wummerte in der Brust und seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Wie kann man seinen eigenen Sohn auf diese Weise behandeln? Leon hat so sehr versucht, ihm alles recht zu machen, aber er kann sich doch nicht selbst verleugnen. Er ist so. Er ist nicht krank, nicht unnormal, er ist einfach er. Ein wunderbarer, junger Mann, dessen Lächeln mich schwach werden lässt und für den ich alles tun würde, damit er glücklich ist. Wie kann man sein eigenes Kind nicht so lieben, wie man es geschenkt bekommt?“
„Oh Gott.“ Anneliese weinte. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, obwohl sie versuchte sie zu verbergen. „Ich … Oh Gott, das ist doch alles meine Schuld. Ich hätte nie ...“ Erneut brach sie ab und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Die verzweifelte Geste durchdrang endlich Kais Wut und schwer atmend setzte er sich ihr gegenüber hin. Schwul oder nicht, er mochte auch keine Frau weinen sehen.
Sie wühlte in ihrer Hosentasche und zerrte ein Taschentuch hervor. Schweigend sah Kai ihr zu und wusste partout nicht, was er sagen konnte, denn etwas tröstendes erschien ihm völlig falsch. Natürlich traf sie nicht die volle Schuld. Genug jedoch, dass er nicht bereute, was er gesagt hatte.
„Entschuldigen Sie“, murmelte sie und schluckte mehrfach. „Es tut mir leid, dass Sie da reingezogen wurden und ...“ Tief atmete sie ein. „Oh Gott, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Aber Burghardt ist ein guter Mann, ein sehr guter Mann. Sie wissen nicht, was ich ihm alles verdanke.“
„Nein, weiß ich nicht“, knurrte Kai, den die Erwähnung des verhassten Namens ließ ihn erneut warmglühen. „Ich habe nur erlebt, was er Leon angetan hat und ...“
„Aber er meinte es doch nicht so“, unterbrach sie ihn beinahe flehend. „Doch nur, weil ...“ Noch einmal brach sie ab und holte mehrfach Luft, ehe sie den Kopf hob, sich noch einmal über die feuchten Wangen wischte. „Sie sind nicht von hier, oder?“ Verneinend schüttelte er den Kopf. Anneliese nickte und seufzte. „Hier läuft vieles anders. Und manche Sachen sind … nicht so einfach zu erklären. Burghardt hat seine Fehler, ja, aber er ist … er hat ...“ Abermals kam sie ins Stocken und straffte ihre Schultern.
„Wir haben uns damals in der LPG kennengelernt. Das waren andere Zeiten. Damals war man nicht so offen wie heute.“ Widerwillig hörte Kai zu. Er wollte keine Erklärung hören, wie toll Burghardt war. Für ihn war er der Oberarsch und würde es immer sein. „Burghardt ist ein rauer Mann, er spricht nicht über Gefühle, wissen Sie?“ Mir scheißegal, knurrte Kais innerer Kampfhund, der jaulend die Zähne fletschte.
„Er hat es daheim nicht leicht gehabt, sein Vater ist im Krieg gefallen und ...“ Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. „Es fällt mir sehr schwer, Ihnen das zu erzählen.“ Merke ich und im Grunde kann sie es sich sparen. Ich habe definitiv kein Mitleid mit diesem Mann, selbst wenn er ein verhungertes Waisenkind gewesen wäre. Aber Kai hörte dennoch zu.
„Wir waren beide sehr jung, als wir geheiratet haben und ich mit Bodo schwanger wurde“, fuhr Anneliese fort. „Meine Eltern haben seine Geburt leider nicht mehr erlebt, sie waren sehr schwer krank. Es waren harte Zeiten für mich. Burghardt ist ein wirklich guter Mann, fürsorglich und fleißig. Ich hatte alles, was man zum Glücklichsein braucht.“
Kai
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