Mecklenburger Winter
kommen, dann wäre das ein großes Ereignis und ja, er gönnte es ihm von Herzen.
„Ich glaube es nicht.“ Basti war ganz aus dem Häuschen, als sich Lars, zehn Kilometer vor dem Ende der Radstrecke, auf den zwölften Platz vorgeschoben hatte. Erwartungsvoll standen sie am Wechselpunkt, den die ersten Läufer schon wieder verlassen hatten, um auf die abschließende Laufstrecke zu gehen. „Zwölf Minuten hat er auf die drei vorne. Los, Larsiboy, das packst du.“
„Er kommt, er kommt“, jubelte Leon. „Und er hat noch einen abgehängt.“ Applaus brandete auf und drei Radfahrer erreichten gleichzeitig die Wechselstation, hasteten zu ihren Sachen und hängten ihre Fahrräder auf. Lars blickte nicht hoch, schleuderte den Helm zur Seite und zog sich hastig die Laufschuhe an. Kai versuchte auf die Entfernung zu beurteilen, wie schnell sein Atem ging und wie fit er noch aussah. Oh er wusste so genau, wie Lars sich jetzt fühlte. Letztes Jahr war es bei ihm fast dasselbe gewesen. Es dauert einen Moment, bis man aus dem Rhythmus des Radfahrens auf den des Laufens umschaltete, aber dann, wenn man im Flow drin war … Es fühlte sich einfach gut an und der Körper schien ganz von alleine zu funktionieren.
„Lass es langsam genug angehen.“ Kai schloss unwillkürlich die Augen, als ob er damit Lars telepathisch erreichen könnte. „Versuch nicht gleich, nach vorne aufzuschließen. Sie werden im Tempo einbrechen. Wenn du ruhig genug loslegst, holst du sie dir.“
„Was machst du denn da? Beschwörst du ihn?“ Leon stieß ihn an und Kai riss die Augen auf. Schmunzelnd musterte ihn Leon und legte spontan den Arm um ihn. „Wenn Lars heute gut abschneidet, ist das auch für dich ein Erfolg, richtig?“ Kai schluckte und nickte verstohlen. Na, s o ein Schlaukopf. Teilweise war es ihm unheimlich, wie gut Leon ihn durchschaute. Aber er konnte vor ihm auch nichts verbergen. Flüchtig streiften Lippen seine und der Druck um seine Schultern wurde stärker. Leon wusste haargenau, wie er sich fühlte und das war vor allem ein gutes Gefühl und gab ihm Sicherheit.
Lars schien Kais Beschwörungsformel gehört zu haben und, entgegen seines, sonst oft zu hitzigen Gemüts, dieses Mal den Verstand eingeschaltet gelassen zu haben. Dirk verzog zwar missmutig das Gesicht, als er an der ersten Wasserstelle von vier Läufern überholt worden war, doch Kai lächelte wissend vor sich hin und warf Lars im Vorbeilaufen nur ein: „Perfekt“, zu und reckte den Daumen in die Luft.
Perfekt schien es in der Tat zu laufen, denn Kais Prognose bewahrheitete sich und nach knapp fünfundzwanzig Kilometern brach das Tempo einiger Teilnehmer ein. Während Lars kontinuierlich weiterlief, überholte er nach und nach weitere Läufer.
„Den Briten vorne und die beiden Deutschen holt er nicht mehr.“ Basti zupfte nervös an seinem Ohr herum. „Die sind grandios heute. Aber wenn er noch ein bisschen Gas gibt, schafft er es vielleicht wirklich noch unter die ersten zehn.“
„Er ist nur acht Minuten hinter der Spitze und ist derzeit Vierzehnter“, gab Dirk die Informationen. Der Stift in seiner Hand wanderte von Finger zu Finger. „Bitte lass jetzt nichts mehr schiefgehen.“ Susanne kaute auf der Unterlippe herum.
Die Spannung hatte sie alle gepackt. Bis wenige Kilometer vor dem Ziel hatte sich nicht viel geändert. Ein Läufer war total im Tempo eingebrochen und Lars lief nun in einer Gruppe mit drei anderen Teilnehmern von denen abzusehen war, dass der eine das Tempo nicht mehr lange halten würde. Die Sieger und sieben andere Platzierte waren bereits unter tosendem Applaus an den Freunden vorbei ins Ziel gelaufen und sie starrten gespannt auf den Fleck, wo die nächsten auftauchen würden.
„Da!“ Dirk, der der Größte von ihnen war, deutete aufgeregt hin. „Er ist es. Dieser Wahnsinnskerl. Da kommt er hinter den zwei anderen.“
„Oh nein, die packt er nicht mehr“, jammerte Susanne. „Die ziehen schon an.“
„Oh Scheiße. Gib Gas, Junge!“ Basti fuchtelte mit den Armen und stieß um ein Haar Kai um. „Du schaffst das, du schaffst das“, brüllte dieser und Leon fiel in die Anfeuerung ein. Lars kämpfte, näherte sich den beiden anderen Läufern jedoch scheinbar kaum, die ihr Finish liefen. „Gib alles! Zieh durch!“ Kai schrie sich die Lunge aus dem Leib, glaubte sich selbst dort zu sehen, wie er auf dem roten Teppich lief, vorbei an den jubelnden Zuschauern, nur den Zielbogen vor Augen. Das Herz jagte, die Lunge pumpte
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