Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
Stimme etwas Wesentliches ab. Ich konnte sehen, daß Idya gar nicht einverstanden war mit den Bedingungen, die der König mir stellte, sie redete heftig auf ihn ein, er kroch in seinen Königsmantel und stellte sich taub. Wir mußten uns ja fragen: Sollten wir uns auf das Abenteuer einlassen, das, wie wir sehr wohl begriffen, gefährlich werden konnte, oder sollten wir einfach wieder abfahren, das Vließ, dieses dumme Fell, das mir schon über war, an seinem Ort belassen und uns zu Hause mit irgendeiner Geschichte herauswinden. Ich war nicht scharf darauf, als Leiche in den Ästen irgendeiner kolchischen Eiche zu hängen. Etwas Drittes schien es nicht zu geben.
    Wir durchschauten die Verhältnisse in Kolchis nicht, in die wir hineingeraten waren, ausgerechnet an einem heiklen Punkt, wie wir allmählich zu spüren kriegten. Wir kannten nicht die kolchischen Frauen. Immer haben sie ihre Geheimnisse vor Fremden gehütet, so wie wir. Jetzt sage ich wir und meine die Korinther, hat also Kreon recht, wenn er sagt: Aber du gehörst doch zu uns, Jason, das sieht doch ein Blinder. Und man setzt doch die Kolcher nicht herab, das habe ich Medea klarzumachen versucht, wenn man feststellt, daß sie anders sind. Da hat sie aufgelacht in ihrer höhnischen Art, die mir mehr und mehr auf die Nerven geht, aber zugeben mußte sie mir, daß die Leute aus Kolchis sich hier in ihrem Stadtviertel zusammendrängen und an ihren Bräuchen festhalten und nur untereinander heiraten und also selber darauf bestehen, daß sie anders sind. Ihnen unterlegen, meinen die meisten Korinther, auch König Kreon. Aber ich bitte dich, Jason, letzten Endes sind es dochWilde, sagte er neulich und legte mir seine Hand auf den Arm. Reizvolle Wilde, zugegeben, nur zu verständlich, daß wir diesen Reizen nicht immer widerstehen. Zeitweise. Er lächelte milde. Ich habe ein komisches Gefühl. Ich glaube, er will etwas Bestimmtes von mir. Medea sagt: Er klopft dich weich, mit sanften Schlägen, und dann fährt sie mir mit dem Handrücken über die Wange, leichthin, wie einem Knaben. Als rechne sie nicht mehr mit mir. Kreon rechnet mit mir. Womit ich rechne, das weiß ich nicht, und ich sehe niemanden, den ich fragen könnte. Am wenigsten meine alten Gefährten, die paar, die mir hierher gefolgt sind, weil sie kein Zuhause haben oder weil sie sich, wie ich, von einem kolchischen Mädchen nicht trennen konnten. Die hängen in den Hafenkneipen herum und fallen den Leuten auf die Nerven mit ihrem Selbstmitleid. Ich meide sie. Ja, einmal wußte man, wozu man auf der Welt ist, die Zeiten sind vorbei.
    Jetzt will man sie vernehmen, höre ich. Oder jedenfalls befragen. Ob sie etwas über den Mord an Medeas Bruder Absyrtos aussagen können. Ich bitte dich, Akamas, habe ich dem Mann vorgehalten, was sollen die sagen, und insgeheim dachte ich, was natürlich auch Akamas weiß, für einen Krug Wein werden sie alles sagen, was man von ihnen hören will. Will man also etwas Bestimmtes von ihnen hören? Aber das ist doch absurd. Man wird auch dich befragen, Jason, sagte Akamas.
    Mir ist nicht wohl dabei, mir ist gar nicht wohl. Aber was weiß ich denn, was könnte ich denn sagen. Den Absyrtos habe ich gesehen, stimmt, er war ein schöner anmutiger Knabe mit einer schmalen kühnen Nase in dem dunkelhäutigen Gesicht und saß an der Festtafel linksneben seinem Vater Aietes, der ihn andauernd liebkoste, das stieß mich ab, erinnere ich mich. Jedermann schien ihm zu schmeicheln, ein verwöhnter Junge, der sicher in seinem gepolsterten Nest saß, unsereins hat sich anders durchschlagen müssen, doch das waren nur flüchtige Empfindungen, verwunderlich, daß ich mich überhaupt an sie erinnere. Sicherlich hat das Unglück dieses Jungen meinen Eindruck von ihm gefestigt und mein vages Gefühl, daß von einem gewissen Augenblick an mein Schicksal mit dem seinen verknüpft war. Das Bindeglied war Medea. Zwei Tage nach unserem Empfang, zwei Tage, in denen ich nicht wußte, was tun, zwei Tage, in denen niemand sich um uns kümmerte, war die Stimmung im Palast plötzlich umgeschlagen. Ein Entsetzen schien alle erfaßt zu haben, stumm, verstört liefen sie durch die Gänge, niemand ließ sich ansprechen, bis ich auf Chalkiope traf, die, außer sich vor Trauer, auf dem Weg zu Medea war, zu der ich wollte, mir Rat holen. Ihr Name nämlich, hatten die Kolcher meinen Männern zugeflüstert, bedeute: die guten Rat Wissende. Nun denn, sollte sie diesem Namen Ehre machen.
    Sie hockte in einer

Weitere Kostenlose Bücher