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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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mich dazu verhielt, ich hatte meine Miene in der Gewalt, Triumph und Schrecken gleichzeitig nahmen mir fast den Atem. Jetzt würde sie bekommen, was sie verdiente. Jetzt würde ich sie für immer verlieren. Sie bereiten etwas gegen sie vor. Sie verheimlichen es vor mir, ich kriege alles heraus, was ich wissen muß, ich stelle der Dienerschaft mit dümmlicher Miene naive Fragen, sie sind so daran gewöhnt, mich für töricht, ja für blöde zu halten, daß sie in meiner Gegenwart ungeniert reden. Wenn man Angst hat, muß man über seine Umgebung genau Bescheid wissen, wie ein schwaches Tier im Dickicht, die Frau verstand das genau, sie wußte genau, wie schwer Angst sich vertreiben läßt, wie dicht unter der Oberfläche sie lauert, um wieder hervorzubrechen, sie hat versucht, das gebe ich ja zu, solange sie konnte, die Verbindung zu mir zu halten, auch als sie selbst schon Grund zur Angst gehabt hätte.
    Eines Tages hatte Arinna mich gefragt, scheinheilig wie immer in solchen Fällen, ob ich nicht Lust hätte, einmal einen der besten Bildhauer und Steinmetzen der Stadt bei der Arbeit zu sehen, Oistros. Ich hatte viel von ihm gehört, er macht Grabmäler für höhergestellte Personen, es hieß, die Götter hätten ihm goldene Hände gegeben, aber ich sah als erstes seine Augen, graublaue eindringliche Augen, freundlich, ja, aber nicht nur freundlich, auch forschend, ich fand keine Spur jener Neugier, jener Zudringlichkeit, jenes Neides in ihnen, die ich in den Augen der meisten Korinther finde. Ah, sagte er, Glauke, das ist gut, daß du kommst. Er hatrostrote Haare, das ist selten in Korinth und wird als Makel angesehen, nicht bei Oistros, an dem Spott und üble Nachrede abprallen, er führte mich in seiner Werkstatt herum und erklärte mir die verschiedenen Steinsorten und wozu er sie verwendet, er führte mir vor, wie er den Meißel ansetzt, er zeigte mir Blöcke und ließ mich herausfinden, welche Figur in ihnen steckt, es steckt nämlich nicht in jedem Stein jede beliebige Figur, das war mir neu, es ist wie bei uns, sagte Oistros, nicht aus jedem Fleischkloß kann man einen Menschen machen, manchmal ist es tröstlich, das zu wissen, findest du nicht. Er behandelte mich als seinesgleichen, er lachte laut und ansteckend, auf sein Lachen erschienen zwei Frauenköpfe in der Tür zum Nebenraum. Ich erschrak. Sie war hier, die Frau. Die andere kannte ich nicht. Ach ja, sagte Oistros, ich glaube, du wirst erwartet, er schob mich in den Nebenraum.
    Nie hatte ich mir vorgestellt, daß es so etwas Schönes wie diesen Raum in meiner Stadt geben könnte. Arethusa, die hier lebte und die ganz vertraut zu sein schien mit der Frau, deren Namen ich vermeide, Arethusa war Steinschneiderin, ihr Kopf hatte das gleiche Profil wie die Gemmen, die sie aus den Steinen herausschnitt, ihr dunkles krauses Haar war kunstvoll hochgebunden, sie trug ein Kleid, das ihre schmale Taille betonte und viel von ihren Brüsten frei ließ, ich konnte den Blick nicht von ihr wenden. Warum habe ich dich noch nicht gesehen, fragte ich unwillkürlich, Arethusa lächelte, ich glaube, sagte sie, wir bewegen uns in verschiedenen Kreisen, ich arbeite viel, gehe selten aus. Ihr Raum hatte eine große Öffnung gen Westen, er war vollgestellt mit seltenen Pflanzen, man wußte kaum, ob man drinnenoder draußen war, hier wäre gut sein, empfand ich, und mein Herz zog sich zusammen, weil solche Orte, an denen sich leben läßt, mir nicht vergönnt sind, aber nun muß ich das alles noch einmal in der Vergangenheitsform denken, das Haus, in dem Arethusa und Oistros lebten, soll durch das Erdbeben schwer beschädigt sein, ich wüßte nicht, wen ich nach ihnen fragen könnte. In meiner Umgebung hat ein anderes Erdbeben stattgefunden, eine Erschütterung, die nicht die Häuser zerstört hat, aber Menschen verschwinden ließ. Alle Menschen, die mit dieser unheilvollen Person in Verbindung standen, sind wie vom Erdboden verschluckt, unheimlich müßte ich das finden, geschähe es nicht zu meinem Besten, denn was sollte ich mit Oistros und Arethusa jetzt bereden außer das Schicksal dieser Frau, das sich, wie ich sehr genau spüre, auf eine Katastrophe zubewegt, die ich zugleich fürchte und herbeisehne. So soll sie doch endlich kommen.
    Dies ist, ich weiß es genau, das einzige Gefühl, das ich mit Jason teile. Jason, der jetzt öfter in meiner Nähe auftaucht, und jedesmal hüpft mein Herz, das so dumm ist, sich nicht daran zu kehren, daß der Vater ihn schickt. Daß er

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