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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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baden in der Dunkelheit des Himmels da oben, auf dem nach und nach die einzelnen Sternbilder hervortreten wie vertraute Gefährten.
    Und wenn ich noch einen Wunsch frei hätte bei diesen wankelmütigen Göttern, so fielen mir zwei Frauennamen ein, für die ich Schutz erbitten würde. Ich wundere mich über mich selbst, nie vorher hat in meinem Leben der Name einer Frau eine Rolle gespielt. Nicht, daß ich mich der Freuden enthalten hätte, die das ewige Spiel zwischen Mann und Frau bereiten kann, aber die Namen der Mädchen, die mich einmal oder öfter besuchten, übrigens immer bereitwillig, sogar entzückt, glaube ich, die Namen habe ich schnell vergessen, ihre Besuche sind seltener geworden, ohne daß sie mir groß gefehlt hätten. Medea sagt, ich sei ein Mann, der den Schmerz fürchte. Ich wünschte, sie würde den Schmerz mehr fürchten, als sie es tut.
    Noch sitzt sie mir gegenüber auf der Terrasse, etwasLuft ist aufgekommen nach dem unleidlich heißen Tag, wir beginnen freier zu atmen, ein Öllämpchen steht zwischen uns auf dem niedrigen Tisch aus Pinienholz, seine Flamme ist fast unbewegt, wir trinken kühlen Wein, sprechen leise oder schweigen. Diese Gewohnheit unserer nächtlichen Treffen haben wir nicht aufgegeben, obwohl sich die Leute sonst alle in ihre Wohnhöhlen verkriechen und einander meiden. Eine unheimliche Ruhe liegt über der Stadt. Nur manchmal hört man die Geräusche der Eselskarren, die die Leichen des Tages hinüberbringen, über den Fluß, der schwarz daliegt, in die Totenstadt. Ich zähle die Karren. In den letzten Nächten hat ihre Zahl sich vermehrt. Medea ist verloren.
    Was wird aus uns, Leukon, sagt sie, und ich habe nicht das Herz, ihr zu sagen, was ich weiß, was ich sehe, was aus ihr wird. Sie kommt, glühend in Schönheit und erhitzt von der Liebe, von Oistros, sie umarmt mich, und ich umarme eine, die nicht mehr da ist. Sie tut, was sie nicht tun sollte, sie schlägt meine Warnungen in den Wind, und mit Oistros ist überhaupt nicht zu reden. Mit seinem Meißel, der die Verlängerung seiner Fingerspitzen ist, holt er das Abbild der Göttin aus dem Stein und scheint nicht einmal zu merken, wessen Gestalt er da nachbildet. Sie ist in seinen Fingerspitzen, Medea, sie hat ihn in Besitz genommen, das sagt er selbst, so etwas sei ihm noch nie passiert, die Lust an dieser Frau habe ihm eine neue Lust am Leben, an seiner Arbeit geschenkt, beim Näherkommen höre ich ihn in seiner Werkstatt pfeifen und singen, nur wenn sie bei ihm eintritt, wird es still. Dieser Mann, der keine Herkunft, keine Eltern und Verwandten kennt, den das nicht zu kümmern scheint, den sein Los nicht drückt, daß erals Säugling ausgesetzt und vor die Tür eines Steinmetzen gelegt worden ist, dessen Frau kinderlos war und diesen Findling als Gabe der Götter annahm und aufzog, der in der Werkstatt des Ziehvaters noch als Kind die Grundlagen seines Handwerks erlernte, über die er, das soll der alte Steinmetz freimütig und beinahe ehrfürchtig zugegeben haben, bald hinauswuchs. Heute bestellen die edelsten Korinther bei ihm die Grabmäler für ihre Familien, er könnte reich sein, niemand weiß so recht, wie er es anstellt, bedürfnislos und bescheiden zu bleiben, auch versteht man nicht, wieso er nicht den Neid der anderen Steinmetzen auf sich zieht. Geld scheint so wenig an ihm zu haften wie Neid, dafür ist er ein Menschenfänger, immer ist er umgeben von jungen Leuten, für die er in seiner Werkstatt Beschäftigung hat. Auch mich hat sein unbekümmertes Wesen angezogen, wenn ich mit ihm zusammen war, genas ich von meiner Schwermut und meinen Grübeleien, die er mir nicht anzumerken schien, jedenfalls verlor er kein Wort darüber, und eben das war ja das Heilsame in seiner Gegenwart, daß er jeden gleich behandelte, ich bin sicher, er würde auch kein Aufhebens machen, wenn sich der König zu ihm verirrte. Und, merkwürdig zu beobachten, sein Gleichmut und seine Unabhängigkeit strahlen auf jeden aus, der zu ihm kommt, ob hoch oder niedrig.
    Medea sagt, er hat es geschafft, erwachsen zu werden, ohne das Kind in sich umzubringen, er war eine Wohltat für sie, aber ist er es noch? So sollte ich nicht fragen. Wie würde ich es mir verbitten, wenn jemand mich fragte, ob Arethusa eine Wohltat für mich ist trotz des Verzichts, den sie mir auferlegt. Wortlos sind wirdarin übereingekommen, unsere Verbindung, die ja keine ist, geheimzuhalten, während Medea nun fast ohne jede Vorsichtsmaßnahme zu Oistros geht. Ihre

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