Medea. Stimmen
schneiden. Wie diese Hände zu mir sprechen, das kann sich kein Mensch vorstellen. Arethusa lächelt, nie schickt sie mich weg, immer leuchtet ihr Gesicht auf, wenn ich in der Tür stehe, zur Begrüßung schmiegt sie sich an mich. Verstehst du das, Medea, frage ich. Ja, sagt sie. Arethusa liebt zwei Männer, einen jeden auf andere Weise. Und du? frage ich herausfordernd, sie bleibt gelassen: Ich nicht. Sie umarmt Arethusa, sie lieben sich wie Schwestern, sie schlägt den Türvorhang zurück und geht zu Oistros.
Akamas sieht das ganz richtig, hier bin ich unter Menschen geraten, die sich nicht hineinziehen lassen in das Getriebe, das den Kosmos Korinth bewegt. Es ist Sand hineingekommen, es rüttelt und knirscht, sie scheint das nicht zu kümmern, mir macht es Sorge. Arethusa kann ich das nicht vorwerfen, ihr kann ich nichts vorwerfen, aber es kommt vor, daß ich Medea im stillen Vorhaltungen mache, wie sie so nüchtern die Anzeichen betrachtet, die auf die Zerrüttung Korinths hinweisen, als deutlichstes die Bestrebungen, sich Medeas zu entledigen. Sollen denn all die Jahre umsonstgewesen sein, in denen ich mich in Zurückhaltung geübt habe. Soll denn meine Haftung an diese ungeliebte Stadt nie aufhören.
Unsere Gedanken scheinen auf getrennten Wegen an einen ähnlichen Punkt gelangt zu sein, Medea sagt, ob mir auch schon aufgefallen sei, daß in jedem Übel doch auch ein Körnchen Gutes stecke. Denn wie hätte sie Oistros und ich Arethusa je kennenlernen sollen ohne den Ausbruch des Volkszorns gegen sie. Wie hätte sie sich, ohne verfolgt zu werden, in jenen entlegenen Teil der Stadt verirren sollen, in das Viertel der winzigen, in Gärten geduckten Lehmhütten, in denen die ärmsten Korinther, ehemalige Gefangene und deren Nachkommen, und allerlei zwielichtige Existenzen sich angesiedelt haben, unter denen Leute wie Oistros, Arethusa und der Kreter nicht auffallen.
Es war ein klarer durchsichtiger Frühsommertag, es war die Stunde, in der das Licht fast ohne Übergang in Dunkelheit fällt, vorher aber noch einmal eine Leuchtkraft sammelt, die selbst mir, der ich von Kindheit an daran gewöhnt bin, noch die Brust weiten kann. Das sind die Augenblicke, in denen ich dankbar bin, hier zu leben, und nichts anderes mir vorstellen kann, und genau mit diesem Gefühl stand ich auf der Plattform des Turms, von dem aus ich so viele Nächte in den Himmel geblickt hatte, hingegeben der unirdischen Schönheit der Sternenbahnen, deren verborgenen Gesetzen ich auf die Spur kommen wollte, das war mein Leben. Ich bin ja noch nicht alt, jedenfalls sagt Arethusa das, aber es war dahin gekommen, daß ich nur noch unter den Sternen Freunde hatte, nicht mehr unter den Menschen. Ich hielt freundlich Abstand zu den jungenLeuten, die bei mir lernen und von denen dieser und jener gute Anlagen und Wissensdurst zeigt, nicht nur das übliche rücksichtslose Interesse am eigenen Fortkommen wie Turon, der Klügsten einer, und einer der Gewissenlosesten.
Einer von meinen Schülern kam an jenem Nachmittag die Treppe heraufgehetzt, sie wissen, daß sie mich in dieser Stunde der Besinnung nicht stören sollen. Er rief: Sie jagen Medea durch die Stadt! Ich fragte noch: Wer? Aber ich wußte schon alles. Der Pöbel. So hatte es kommen müssen.
Ich lief die Treppe hinunter und trat ohne Umstände in Akamas’ Arbeitszimmer ein, in seinen großen Raum mit den vielen Fenstern und der umlaufenden Terrasse davor. Ich sagte: Bist du nun zufrieden. Er wollte sich zuerst ahnungslos stellen, ich aber, das kann ich mir beinahe selbst nicht mehr glauben, ich ging drohend auf ihn zu, daß er sich zur Wand zurückzog und beteuerte, er könne nichts machen, sie habe das Volk zu sehr aufgebracht. Das Volk? sagte ich, und da wollte er mir allen Ernstes die Geschichte mit dem Brudermord auftischen, die ja in diesem Raum ausgebrütet und von hier aus in Umlauf gesetzt worden war. Ach, sagte ich höhnisch, diese Leute sind ganz alleine auf die Idee gekommen, sich zusammenzurotten, der Frau aufzulauern und sie mit Schimpf und Schande durch die Straßen zu jagen, wie? So müsse es wohl gewesen sein, wagte Akamas mir ins Gesicht hinein zu behaupten; ich wisse doch nur zu gut, daß man sich einem entfesselten Volkshaufen nicht entgegenstellen könne. Man müsse ihn ins Leere laufen lassen. Ich schrie: Ins Leere? Du meinst in die Frau, oder was. Sie sollen sie totschlagen. Abernicht doch, sagte Akamas, solche Massen sind doch feige, ihr wird schon nichts passieren.
Ich
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