Medea. Stimmen
deinen Füßen verlierst, steckt mir noch in den Gliedern, ich rannte hinaus, schreiende Menschen füllten die Straßen, der Weltuntergang schien nahe zu sein, in den Sternen hatte er nicht gestanden. Die Schäden am Palast hielten sich in Grenzen, Mauern waren nicht eingestürzt, es gab ein paar Verletzte unter den Dienstleuten und einen Toten. Aber König Kreon war in seiner Eigenliebe und seinem Unsterblichkeitsgefühl tief getroffen durch die Vorstellung, sein kostbares Leben könneausgelöscht werden durch einen beliebigen Stein, der ihm zufällig auf den Kopf fiele. Ein Groll gegen jedermann sammelte sich in ihm, die Todesangst muß ihn nicht mehr verlassen haben, er wurde reizbar und gefährlich, und besonders Akamas bekam den neuen scharfen Ton zu spüren, den der König anschlug. Ich werde den Verdacht nicht los, daß wieder er es war, der, um von sich abzulenken, die Leute auf den Gedanken brachte, das Erdbeben könne durch Medeas böse Kunst über Korinth heraufbeschworen worden sein. Ich fragte Medea, ob sie das wisse. Sie nickte.
Einmal hatte ich die Möglichkeit, mit Lyssa über sie zu sprechen, es war am Abend des Erdbebens, das Medea bei Oistros überrascht hatte, ich fand sie dort, als ich nach meinem Lauf durch Trümmer ankam, um nach Arethusa zu sehen. Sie hatte vor Angst das Bewußtsein verloren, das Beben hatte in ihr das Unheil wieder lebendig werden lassen, in dem Kreta untergegangen war, Medea brachte sie zu sich, rieb ihr die Stirn mit einer belebenden Flüssigkeit ein und ließ sie dann bei mir, es zog sie zu ihren Leuten, in die zerstörten Stadtviertel, sie bat mich, nach Lyssa und den Kindern zu sehen. Das kleine Häuschen klebte noch an der Palastmauer, ich trat aus der verwundeten, stöhnenden Stadt in einen Ort der Ruhe. Lyssa gab den Kindern ein einfaches Abendbrot, zu dem sie mich einlud, ich merkte, wie hungrig ich war und wie mir die Gelassenheit wohltat, die von ihr ausging. Sie gehört zu den Frauen, die die Erde wieder anstoßen würden, falls sie einmal stehenbleiben sollte, sie hält das Leben der Menschen, die ihr anvertraut sind, fest in den Händen, man kann jeden beneiden, der in ihrer Obhut aufwachsen darf.
Lyssa hatte den beiden Jungen ihre Sorge um Medea verborgen, sie waren unbekümmert, lebensvoll, der eine, der dem Jason gleicht, ist stattlicher als der Dunkle, Lockige, der wiederum wilder und ungebärdiger ist als der Bruder. Sie überboten sich in ihren Berichten vom Erdbeben, das sie als Abenteuer erlebt hatten. Ganz unvermittelt wurden sie müde, gingen schlafen. Auf einmal trat eine tiefe Stille ein. Wir saßen in der winzigen Küche, das Herdfeuer glühte noch, die Hausschlange raschelte in der Asche, wir fühlten die Erleichterung nach überstandener Gefahr, was morgen auf uns zukommen würde, kümmerte uns noch nicht, wir schwiegen, redeten dann in halben Sätzen über das, was uns durch den Kopf ging, auch über Medea, und es zeigte sich, daß wir von verschiedenen Ausgangspunkten zu ähnlichen Schlüssen gekommen waren. Lyssa sah wie ich, daß eine Art Siechtum Korinth befallen hat und kaum jemand gewillt ist, dieser Krankheit auf den Grund zu gehen. Lyssa fürchtete, über kurz oder lang werde ein Umschlag erfolgen zur Selbstzerstörung hin, sie kenne das, dann würden alle jene unseligen Kräfte losgelassen, die ein geordnetes Gemeinwesen zu binden wisse, und dann sei Medea verloren. Es war das erste Mal, daß ich mit einer Fremden über den Zustand unserer Stadt sprach, jetzt ging ich noch weiter und fragte sie, wo sie denn die Ursache sehe für unseren Niedergang. Sie fand, die Antwort liege auf der Hand. In eurer Selbstüberhebung, sagte sie. Ihr überhebt euch über alles und alle, das verstellt euch den Blick für das, was wirklich ist, auch dafür, wie ihr wirklich seid. Sie hatte recht, und ihr Satz klingt bis heute in mir nach.
Die Folgen des Erdbebens waren ja schlimmer als dasBeben selbst. Das Königshaus kümmerte sich nur noch um sich, mit großem Pomp wurde ein höherer Hofbeamter bestattet, der von Trümmern erschlagen worden war, die düstere Prachtentfaltung zeigte den unseligen Presbon, der alle Selbstkontrolle verloren hatte, auf der Höhe seiner Talente und zugleich in seiner Armseligkeit und Skrupellosigkeit, denn selbst er hätte wissen müssen, daß diese Verschwendung die Wut der Korinther anheizen mußte, die ihr Hab und Gut verloren hatten und deren Tote oft noch wochenlang unter den Trümmern ihrer Häuser verwesten. Medea
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