Media Control
gegeben, seine Geschichte umzuschreiben. Zu viele Leute, darunter Soldaten und jugendliche Kriegsgegner, hatten begriffen, was sich in Vietnam wirklich ereignet hatte. Das war schlecht und mußte korrigiert werden. Die Leute sollten einsehen, daß alles, was wir machen, edel und rechtens ist. Wenn wir Südvietnam bombardieren, verteidigen wir das Land gegen seinen Feind, nämlich die Südvietnamesen, weil es außer ihnen niemanden gab, den wir hätten bombardieren können. Die Kennedy-Intellektuellen sprachen von einer Verteidigung gegen die »innere Aggression« in Südvietnam. Adlai Stevenson und andere benutzten diesen Ausdruck. Mit seiner Hilfe zeichneten sie das offizielle Bild und hatten damit Erfolg. Wenn man die Medien kontrolliert, und das Bildungssystem seinen
konformistischen Beitrag leistet, läßt sich so etwas vermitteln. Einen Hinweis darauf bot eine Untersuchung der Universität von Massachusetts über die Einstellung der Bevölkerung zum Golfkrieg - erforscht wurde der Einfluß des Fernsehens auf Überzeugungen und Haltungen der Zuschauer. Eine Frage lautete: Wie viele Opfer hat Ihrer Schätzung nach der Vietnamkrieg bei den Vietnamesen gefordert? Diese Zahl wurde durchschnittlich mit 100000 angegeben. Die offiziellen Zahlen belaufen sich auf etwa zwei Millionen, während es tatsächlich bis zu vier Millionen gewesen sein sollen. Die Leiter dieser Untersuchung stellten angemessenerweise die Frage, was wir von der politischen Kultur in Deutschland hielten, wenn die Deutschen überwiegend der Meinung wären, die Schoah hätte etwa 300000 Juden das Leben gekostet. Die Frage blieb unbeantwortet, aber die Schätzungen über die Opfer des Vietnamkriegs sprechen eine deutliche Sprache. Sie sagen uns etwas über den Zustand der US-amerikanischen politischen Kultur. Man muß die »krankhafte Hemmung« gegenüber der Anwendung militärischer Gewalt überwinden, und das gilt rückblickend nicht nur für Vietnam, sondern auch für andere Themen: den Nahen Osten, den internationalen Terrorismus, Mittelamerika usw. - überall hat das Bild, das den Leuten von der Welt vermittelt wird, mit der Realität kaum noch etwas zu tun. Die Wahrheit liegt unter großen Lügengebäuden vergraben.
Aus der Sicht derer, die eine wahrhafte Demokratie als Bedrohung empfinden, ist das ein beachtlicher Erfolg, zumal er in einer nicht-totalitären Gesellschaft erzielt wurde. Man benötigte keine Knute. Wenn wir unsere Gesellschaft verstehen wollen, müssen wir darüber nachdenken, sofern es uns nicht gleichgültig ist, in welcher Art von Gesellschaft wir leben und leben wollen.
Oppositionelle Kultur
Trotz allem hat die oppositionelle Kultur überlebt und ist sogar seit den sechziger Jahren gewachsen. Zunächst hat sie sich nur sehr langsam entwickelt. Gegen den US-amerikanischen Krieg in Indochina erhob sich erst Protest, nachdem die Vereinigten Staaten schon jahrelang Südvietnam bombardiert hatten. Zunächst war die Oppositionsbewegung sehr klein und bestand fast ausschließlich aus Studenten und anderen jungen Menschen. Das hatte sich in den siebziger Jahren grundlegend geändert, denn mittlerweile war eine Vielzahl von organisierten Kräften entstanden: die Umweltbewegung, der Feminismus, die Atomwaffengegner und andere. In den achtziger Jahren weiteten sich diese Solidaritätsbewegungen sogar noch aus, was zumindest in der amerikanischen, wenn nicht gar in der Geschichte der Opposition weltweit eine wichtige Neuheit darstellte. Es waren Bewegungen, die nicht nur protestierten, sondern sich, oftmals sehr direkt, des Lebens und Leidens von Menschen in anderen Ländern annahmen. Die Mitglieder dieser Organisationen lernten dadurch eine ganze Menge und beeinflußten den politischen Mainstream in den USA auf positive Weise. Alle, die sich sehr lange mit solchen Problemen engagiert auseinandersetzten, wissen das. Ich selbst weiß, daß die Vorträge, die ich heute in den reaktionärsten Regionen der USA - Georgia etwa oder das ländliche Kentucky - halte, dort zu Zeiten der Friedensbewegung auch vor einem friedensbewegten Publikum auf taube Ohren gestoßen wären. Jetzt aber gibt es keine Hindernisse mehr. Die Zuhörer können sich zustimmend oder ablehnend verhalten, aber sie wissen, wovon die Rede ist, und es gibt ein gemeinsames Fundament, auf dem man bauen kann.
Trotz aller Propaganda, trotz aller Bemühungen, das Denken zu kontrollieren und Konsens herzustellen, haben es die Menschen gelernt, selbständig Überlegungen
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