Media Control
Thomas Bailey: »Weil die Massen notorisch kurzsichtig sind und die Gefahr erst erkennen, wenn sie ihnen bereits an der Kehle sitzt, sind unsere Politiker gezwungen, sie zu täuschen, um sie zur Erkenntnis ihrer langfristigen Interessen zu bringen. Diese Täuschung dürfte umso notwendiger werden, je weniger wir gewillt sind, unseren Leuten in Washington eine freiere Hand zu gewähren.« Ähnlich äußerte sich Samuel Huntington, als 1981 ein neuer Kreuzzug fällig war: »Man muß [Interventionen und andere militärische Aktionen] verkaufen, indem man den Eindruck erweckt, man kämpfe gegen die Sowjetunion. Das haben die Vereinigten Staaten seit der Truman-Doktrin so gemacht.« Eine richtige Beobachtung, die eine der wesentlichen Funktionen des Kalten Kriegs erklärt. 39
Ein weiterer Aspekt ist die konservative Verachtung für die Demokratie, der Sir Lewis Namier beredten Ausdruck verleiht: »In den Gedanken und Handlungen der Massen gibt es ebensowenig einen freien Willen wie in den Bahnen der Planeten, den Wegen der Zugvögel und dem Drang der Lemminge zum Meer.« 40 Erlaubte man den Massen, sich an politischen Entscheidungen auf inhaltliche Weise zu beteiligen, würde das lediglich in die Katastrophe führen.
Einige Leute verteidigen die Lehre vom gesellschaftlichen Konsens mit bemerkenswerter Aufrichtigkeit. So schreibt z. B. der niederländische Verteidigungsminister Frits Bolkestein: »Wer immer sich gegen die Herstellung von Konsens wendet, befindet sich im Widerstand gegen jede Form wirksamer Autorität.« 41 Ob dieser Bemerkung würde ein kommunistischer Parteifunktionär verständnisvoll nicken.
Der Lehre liegt letztlich die Logik des Großinquisitors aus Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow zugrunde. Der Großinquisitor klagt Christus mit bitteren Worten an, weil dieser den Menschen die Freiheit angeboten und sie damit zum Elend verdammt habe. Die Kirche muß diesen teuflischen Schachzug rückgängig machen, indem sie der Menschheit gibt, wessen sie wirklich bedarf: die absolute Unterordnung. Um glücklich zu werden, brauchen die Menschen keine Freiheit, sondern die Gemeinschaft der Anbetung. In der Moderne ist damit die profanisierte Religion des Staats gemeint, wozu in den westlichen Demokratien die Lehre von der Unterordnung unter die Herren des freien Unternehmertums, d. h. des Systems privater Gewinne und öffentlicher Subventionen, gehört. Die Menschen müssen zu ihrem eigenen Wohl in Unwissenheit und nationalistischer Ergebenheit gehalten werden. Während der Großinquisitor durch Wunder, Mysterium und Autorität das Gewissen der Menschen erobert und für immer in Ketten schlägt, damit sie ein Glück erleben, das die Freiheit der Wahl ihnen niemals geben kann, bedienen sich die »kühlen Beobachter« der Moderne der »notwendigen Illusionen« und »emotional einflußreichen Übervereinfachungen«, um die unwissenden Massen zu disziplinieren und in Zufriedenheit zu wiegen.
Obwohl explizit zugegeben wird, daß die Öffentlichkeit getäuscht werden muß, sollte man nicht glauben, daß diese Kunst bewußt betrieben wird. Nur wenige Personen erreichen die Raffinesse des Großinquisitors oder können solche Einsichten lange bewahren. Vielmehr übernehmen die Intellektuellen, wenn sie ihrer schweren und verantwortungsvollen Pflicht obliegen, bereitwillig Überzeugungen, die den institutionellen Bedürfnissen entsprechen, und wer das nicht tut, muß sich andernorts nach einer Beschäftigung umsehen. Der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns mag sich durchaus einbilden, daß er in jeder wachen Minute der Menschheit dient; dennoch muß er realiter Gewinne und Marktanteile erwirtschaften, weil er anderenfalls seinen Job bald los wäre.
Im politischen Meinungsspektrum herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Stimme der Bevölkerung, die sich in demokratischen Gesellschaften Gehör verschaffen kann, eben deshalb ein Problem darstellt. Wie kann man garantieren, daß diese Stimme die richtigen Worte findet? Nur dadurch, daß die politische Führung uns kontrolliert, und nicht etwa umgekehrt. Wenn die Bevölkerung außer Kontrolle gerät und die Propaganda wirkungslos bleibt, wird der Staat in den Untergrund verdeckter Operationen und geheimer Kriege gezwungen, deren Umfang oftmals einen guten Maßstab für die in der Öffentlichkeit grassierende Unzufriedenheit darstellt. So war es während der Amtszeit von Ronald Reagan, unter dessen »konservativen« (wie sie sich selbst stilisierten)
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