Media Control
Mitarbeiter ermordet und die Geschäftsgebäude in Brand gesetzt worden waren. Die Vereinigten Staaten zeigten sich über diese Vorgänge so besorgt, daß die New York Times darüber kein Wort verlor. Lediglich Jorge Pinto, der Herausgeber von El Independiente, durfte auf der Leserbriefseite die »Duarte-Junta« wegen ihrer »erfolgreichen Unterdrückung abweichender Meinungen« verurteilen und seiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daß die Todesschwadronen »direkt dem Militär angehören«, was von der Kirche und Menschenrechtsorganisationen bestätigt wurde. In den Monaten vor der endgültigen Zerstörung wurden die Büros von El Independiente mit Maschinengewehren beschossen und Bombenanschläge auf Pinto verübt. Dem letzten dieser Vorfälle widmete die New York Times einen Artikel von vierzig Wörtern. 79
Dabei sind die US-Medien um die Pressefreiheit in Mittelamerika durchaus besorgt, wie die Berichterstattung über die oppositionelle Zeitung La Prensa in Nicaragua zeigt. Der Medienkritiker Francisco Goldman fand in der New York Times in einem Zeitraum von vier Jahren 263 Verweise auf das von den Sandinisten so geplagte Blatt. 80 Das Unterscheidungskriterium liegt auf der Hand: Die salvadorianischen Zeitungen waren unabhängige Stimmen, die von der mörderischen Gewalt der US-Vasallen zum Schweigen gebracht wurden, während La Prensa, ein Sprachrohr der US-Kampagne gegen die Regierung von Nicaragua, mithin ein »wertvolles Opfer« ist, dessen Belästigung Empörung hervorruft.
Jorge Napoleon Gonzales, der Herausgeber von La Cronica, hatte weniger Glück. Einige Monate vor seiner Flucht besuchte er New York, um auf internationalen Druck »gegen Terroristen, die seine Zeitung zu vernichten drohen« zu drängen. Er berief sich auf Drohungen einer Todesschwadron, die »unzweifelhaft die Unterstützung des Militärs genießen«, berichtete von konkreten Repressalien und von dem, »was [seine Zeitung] als Unterdrückung durch die Regierung bezeichnet« (wie die New York Times umsichtig bemerkte). Die Probleme hätten begonnen, sagte er, als seine Zeitung »Reformen im Landbesitz forderte«, was »die herrschenden Klassen« verärgerte. Es gab jedoch keinen internationalen Druck, und die Todesschwadronen konnten ihr Werk vollenden. 81
Zu eben jener Zeit wurde der kirchliche Radiosender in El Salvador wiederholt bombardiert und von Truppen zerstört, die auch die Büros einer Zeitung der Erzdiözese durchsuchten. Wiederum schwiegen die US-Medien, die jedoch enthusiastisch über die »freien Wahlen« von 1982 und 1984 berichteten. Später wurden wir dann regelmäßig von James LeMoyne, dem Mittelamerika-korrespondenten der New York Times, darüber informiert, daß El Salvador größere Freiheit genösse als das feindliche Nicaragua, obwohl dort keine vergleichbaren Greueltaten stattfanden. Die von den USA unterstützten oppositionellen Politiker und Medien beklagten sich zwar über Behinderungen, nicht jedoch über Terror und Mord. Ebensowenig erwähnt die New York Times, daß führende kirchliche Persönlichkeiten (darunter ein enger Vertrauter des ermordeten Erzbischofs Romero), bekannte Schriftsteller und andere, keineswegs politische Aktivisten, die aus El Salvador fliehen mußten, nicht in die von den Korrespondenten gepriesene Todesschwadronen-Demokratie zurückkehren können, weil sie um ihr Leben fürchten. Dafür forderten die Herausgeber der New York Times die Regierung Reagan auf, »Druck auszuüben, um Nicaragua zu Frieden und Pluralismus zurückzuführen«. Dort nämlich habe es »keine freien Wahlen« gegeben, und die Regierung behindere »fortwährend all jene, die es wagten ... sich frei zu äußern«. 82 Da sieht es in El Salvador doch ganz anders aus.
Auf diese Weise weckt die freie Presse jene Illusionen, die notwendig sind, um den Feind im eigenen Land einzudämmen.
III. Über die Grenzen der freien Meinungsäußerung
Auch wenn wir wissen, daß es nur wenig Neues unter der Sonne gibt, können wir einige Augenblicke festhalten, in denen traditionelle Ideen neue Gestalt annehmen, ein neues Bewußtsein sich herauskristallisiert und die zukünftigen Möglichkeiten in einem neuen Licht erscheinen. Die Erschaffung notwendiger Illusionen zur Steuerung der Gesellschaft ist so alt wie die Geschichte selbst, aber das Jahr 1917 kann in der Epoche der Moderne als Übergang begriffen werden. Die bolschewistische Revolution verlieh Lenins Konzeption einer Avantgarde-Partei radikaler Intellektueller
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