Media Control
konkreten Ausdruck: Er konnte die Kontroversen in der Bevölkerung ausnutzen, um zur Staatsmacht zu gelangen und, ganz wie Bakunin es vorausgesagt hatte, die Herrschaft der »roten Bürokratie« errichten. Fabrikräte, Sowjets und andere Formen revolutionärer Organisation der Massen wurden zerschlagen und die Bevölkerung zu einer »Arbeitsarmee« unter der Kontrolle weitsichtiger Führer transformiert, die die Gesellschaft voranbringen würden - natürlich mit den besten Absichten. Dazu bedarf es der Methode des »Agitprop«, denn selbst totalitäre Staaten können auf die Mobilisierung und freiwillige Unterordnung der Massen nicht verzichten.
Eine bemerkenswerte Lehre der Sowjetpropaganda lautete, daß die von Lenin und Trotzki vorge-nommene Beseitigung jeglicher Kontrolle der Produktion durch die Produzierenden und jeglicher Beteiligung der Massen an der sozialen Entwicklung den Triumph des Sozialismus ausgemacht habe. Diese Einübung in Orwells »Neusprech« sollte die moralische Anziehungskraft der realiter bereits erfolgreich demolierten Ideale ausbeuten. Die westliche Propaganda hat sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Zerschlagung des Sozialismus als seine Inthronisierung auszugeben, um linkslibertäre Ideale durch ihre Identifizierung mit den Praktiken der roten Bürokraten untergraben zu können. So nutzen beide Propagandasysteme die Terminologie für ihre jeweiligen Zwecke aus. Angesichts solcher Einigkeit ist es für Individuen ungewöhnlich schwer, den Tentakeln der Macht zu entkommen. Es war in aller Welt ein schwerer Schlag für freiheitliche und demokratische Bestrebungen.
In eben diesem Jahr, 1917, nahm John Deweys Kreis liberaler Pragmatisten für sich in Anspruch, eine pazifistisch eingestellte Bevölkerung in den Krieg geführt zu haben. Dies geschah »unter dem Einfluß eines moralischen Urteils, das nach reiflichster Erwägung von den nachdenklicheren Mitgliedern der Gesellschaft gefällt wurde ... einer Klasse, die so umfassend wie locker als ›die Intellektuellem bezeichnet werden kann«. Diese Intellektuellen hatten, so meinten sie, »die entscheidende und entschiedene Arbeit für den Krieg ... geleistet«. 83 Diese Leistung hatte, auch wenn sie vielleicht nur in der Selbstwahrnehmung bestand, weitreichende Konsequenzen. Dewey, der geistige Mentor, erklärte, diese »psychologische und pädagogische Lektion« habe gezeigt, daß es »den Menschen möglich ist, ihre Angelegenheiten in die Hand zu nehmen und zu regeln«. Die Menschen, die diese Lektion gelernt hatten, waren »die intelligenten Mitglieder der Gemeinschaft«, also Lippmanns »Spezialistenklasse« und Niebuhrs »kühle Beobachter«. Sie müssen nunmehr ihre Fähigkeiten einsetzen, um »eine neue und besser organisierte Gesellschaftsordnung hervorzubringen, was durch Planung, Überredung oder, falls notwendig, Gewalt geschehen kann«, wobei Dewey nur den »verfeinerten, subtilen und indirekten Einsatz von Gewalt« gelten lassen wollte, nicht aber die »groben, augenfälligen und direkten Methoden«, die vor dem »Fortschritt der Erkenntnis« üblich waren. Der verfeinerte Einsatz von Gewalt ist dann gerechtfertigt, wenn er »vergleichsweise effizient und ökonomisch« verfährt. Damit im Einklang stand die neue Methode der »Herstellung von Konsens«, und in späteren Jahren war viel von »technokratisch und politisch orientierten Intellektuellen« die Rede, die alle Ideologie hinter sich gelassen haben und die noch vorhandenen sozialen Probleme durch die rationale Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien lösen. 84
Seit jener Zeit haben sich die meisten Intellektuellen dem einen oder dem anderen dieser beiden Pole - Lenins Avantgardemodell oder der Sozialtechnologie - zugewandt, sich dabei aber in jedem Falle abschätzig über die »Dummheit des Durchschnittsmenschen« erhoben, der nicht fähig sei, seine eigenen Interessen zu erkennen und wahrzunehmen. Insofern fiel der Wechsel vom einen zum anderen Extrem leicht, weil die grundlegenden Doktrinen und Werte unverändert bleiben konnten, und man nur einschätzen mußte, welcher Weg am ehesten zu Macht und Privilegien führte: die Kämpfe der Massen, derer man sich bediente, oder die Tätigkeit im Dienst etablierter Autoritäten als Manager sozialer oder ideologischer Verhältnisse. Vor diesem Hintergrund läßt sich der Wandel vieler Leninisten, die irgendwann vom »Gott, der keiner war« Abstand nahmen, zu Dienern des Staatskapitalismus erklären. In den frühen
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