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Gesprächspartner, »besteht darin, eine Redewendung auf bestimmte Weise zu interpretieren«. Wenn z. B. das Evangelium die Menschen auffordert, »aus ihrem Überfluß Almosen zu geben« und die Aufgabe darin besteht, »die Wohlhabendsten von dieser Forderung zu dispensieren ... läßt sich die Sache leicht bewerkstelligen, indem man das Wort Überfluß so interpretiert, daß die Verpflichtung zum Almosen selten oder nie eingehalten werden muß«. Gelehrte beweisen, daß das, »was die Reichen zurücklegen, um ihre Lebensumstände oder die ihrer Verwandten zu verbessern, nicht als Überfluß bezeichnet werden kann; und infolgedessen läßt sich eine Sache wie Überfluß bei Reichen kaum finden, ja, noch nicht einmal bei Königen«. Heutzutage nennen wir es Steuerreform. Wir können mithin in aller Seelenruhe dem Evangelium folgen und fordern, daß »die Reichen Almosen geben sollen... ohne daß sie in der Praxis dazu verpflichtet sind ... Daran erkennt man die Nützlichkeit von Interpretationen«, schließt der Kasuist. 186
Diese Methode wird seit George Orwell »Neusprech« genannt; allerdings äußern sich ihre Vertreter nicht mehr so freimütig wie Pascals Kasuist.
In den letzten zwei Kapiteln erörterte ich einige der in demokratischen Gesellschaften entwickelten Formen der Gedankenkontrolle. Am wirksamsten ist die Begrenzung des Denkbaren: Die kontroverse Diskussion wird geduldet, ja, gefördert, wenn sie bestimmte Reglements nicht verletzt. Möglich sind aber auch weniger raffinierte Vorgehensweisen wie etwa die bereits erwähnte »Interpretation einer Redewendung«. So wird aus Aggression und Staatsterror in der Dritten Welt die »Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten«; und Demokratie ist dann hergestellt, wenn sich, so Winston Churchill, die Regierung in den Händen der »Reichen, die friedlich in ihren Behausungen leben«, befindet. 187 Innenpolitisch muß die Vorherrschaft der Privilegierten gesichert sein und darf die Bevölkerung nur die Rolle eines passiven Beobachters spielen, während in den von uns abhängigen Staaten das Regime der uns günstig gesonnenen Kräfte notfalls mit strengen Maßnahmen vor Bedrohungen zu bewahren ist. »Das Verlangen, eine Demokratie amerikanischen Stils in der ganzen Welt verbreitet zu sehen, ist schon immer das Leitmotiv der US-Außenpolitik gewesen.« Diese bereits zitierte Äußerung eines Korrespondenten der New York Times ist, wenn man sie nur richtig interpretiert, durchaus zutreffend. 188
Demzufolge ist es auch kein Widerspruch, wenn wir Demokratie und Unabhängigkeit für Südvietnam verlangen und dabei das Land zerstören, um zuerst die Nationale Befreiungsfront und dann die politisch organisierten Buddhisten auszulöschen, bevor wir »freie Wahlen« abhalten lassen. Daß wir statt auf Politik lieber auf militärische Machtausübung setzten, ist ganz natürlich, denn wir hatten erkannt, daß die Nationale Befreiungsfront die »einzige politische Partei mit einer Massenbasis in Südvietnam« war, mit der keine andere Kraft, »ausgenommen vielleicht die Buddhisten, sich zu messen wagt«. 189 Aus diesem Grund konnte man auch die freien Wahlen in Laos unterminieren, weil die falschen Parteien gewannen, oder den Sturz gewählter Regierungen in Guatemala, Brasilien, der Dominikanischen Republik, den Philippinen, Nicaragua und Chile betreiben, sowie in den achtziger Jahren die Staaten Mittelamerikas mit Terror an der Entwicklung zur Unabhängigkeit und der Durchsetzung von Sozialreformen hindern. Das alles und noch mehr entsprang unserem »Verlangen nach Demokratie«.
Aus dieser Perspektive können wir auch verstehen, warum die New York Times 1965 die Regierung lobte, weil sie »während der jüngsten Unruhen in Indonesien sich klug im Hintergrund gehalten hat«. Damals hatte nämlich das indonesische Militär »die politische Zeitbombe des Landes, die mächtige Kommunistische Partei Indonesiens entschärft, indem es praktisch deren gesamte erste und zweite Führungsebene beseitigte«, wobei Hunderttausende, überwiegend Bauern ohne Landbesitz, den Tod fanden. 190 Diese Begleiterscheinung eines Siegs für die Freiheit blieb unerwähnt, obwohl die New York Times daraufhinwies, daß die sozialen Bedingungen, aufgrund derer die PKI 14 Millionen Anhänger unter ihren Fahnen versammeln konnte, auch nach der Zerschlagung der Partei weiterexistierten und Sukarno sowie die Reste der PKI von Hilfsleistungen an die Betreiber des vielleicht größten Massenmords seit
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