Medicus 01 - Der Medicus
gehörenden Segen, manche sangen ihn sogar laut, und stiegen die sechs feuchten Steinstufen hinunter ins tiefe Wasser. Sobald es ihr Gesicht bedeckte, bliesen sie kräftig oder hielten die Luft an, denn der Akt der Läuterung erforderte, dass sie vollkommen untertauchten, so dass jedes Haar des Körpers naß wurde.
Selbst wenn man Rob dazu eingeladen hätte, hätte ihn nichts dazu bewegen können, in die Kälte dieses dunklen Mysteriums des Wassers einzutauchen. Wenn der Jahwe genannte Gott wahrlich existierte, dann wusste Er vielleicht, dass Rob Colt zwar die Absicht hatte, sich als eines Seiner Kinder auszugeben, doch hatte er das Gefühl, dass ihn in dem unergründlichen Wasser etwas in die jenseitige Welt ziehen würde, wo alle Sünden seines schändlichen Planes bekannt waren; hebräische Schlangen würden an seinem Fleisch nagen, und vielleicht würde ihn Jesus persönlich bestrafen.
Winter im Studierhaus
Diese Weihnachten waren die seltsamsten, die Rob in seinen einundzwanzig Lebensjahren mitgemacht hatte.
Der Bader hatte ihn nicht zu einem wahren Gläubigen erzogen, aber die Gänse und der Pudding, die Sülze aus dem Schweinskopf, das Singen, die Trinksprüche, der feiertägliche Klaps auf den Hintern waren ein Teil des Festes. In diesem Jahr überfiel ihn gähnende Einsamkeit. Die Juden übersahen diesen Tag nicht aus Niedertracht; in ihrer Welt gab es einfach Jesus nicht. Zweifellos hätte Rob eine Kirche aufsuchen können, er tat es aber nicht.
Merkwürdig: Die Tatsache, dass ihm niemand fröhliche Weihnachten wünschte, machte ihn innerlich mehr zum Christen, als irgend etwas zuvor. Eine Woche später, als das Jahr des Herrn 1033 dämmerte, lag er auf seinem Strohsack und dachte darüber nach, was aus ihm geworden war und wohin ihn dies alles führen würde. Als er quer durch die britische Insel gewandert war, hielt er sich für einen erfahrenen Reisenden, doch er hatte inzwischen eine Entfernung zurückgelegt, die den Umfang seiner heimatlichen Insel weit überschritt, und noch immer lag ein endloser unbekannter Weg vor ihm.
Die Juden feierten die Jahreswende aber nicht, weil es Neujahr war, sondern weil Neumond war. Er erfuhr zu seiner Verwirrung, dass sie sich nach ihrem Kalender mitten im Jahr 4793 befanden. Das Land war für den Schnee wie geschaffen. Rob freute sich jedes Mal, wenn es schneite, und bald war es für alle selbstverständlich, dass nach jedem Schneesturm der große go; mit seiner Holzschaufel die Arbeit von etlichen gewöhnlichen Schneeschauflern besorgte. Es war seine einzige körperliche Betätigung; wenn er nicht Schnee schaufelte, lernte er Parsi. Er war inzwischen so weit fortgeschritten, dass er allmählich in der persischen Sprache denken konnte.
Einige Juden aus Tryavna hatten Persien besucht, und er sprach mit jedem Menschen Persisch, der dazu bereit war. »Die Aussprache, Simon. Wie ist meine Aussprache?« fragte er seinen Lehrer, der sich darüber ärgerte.
»Jeder Perser wird darüber lachen« entgegnete Simon. »Denn für die Perser werdet Ihr ein Ausländer sein.
Erwartet Ihr Wunder?« Die Juden im Studierhaus lächelten über die Unbeholfenheit des jungen, riesigen goj.
Sollen sie nur lächeln, dachte der; für ihn waren sie ein ergiebigeres Studienobjekt als er für sie. Zum Beispiel bekam er bald heraus, dass Meier und seine Gruppe nicht die einzigen Fremden in Tryavna waren. Viele Männer im Studierhaus waren ebenfalls Reisende, die auf das Ende des strengen Balkanwinters warteten. Zu Robs Überraschung erzählte ihm Meier, dass keiner von ihnen auch nur eine einzige Münze für über drei Monate Unterkunft und Verpflegung bezahlte. Meier klärte ihn auf: »Dieses System ermöglicht es meinem Volk, zwischen den Nationen Handel zu treiben. Ihr habt gesehen, wie schwierig und gefährlich es ist, die Welt zu bereisen, doch jede jüdische Gemeinde schickt Kaufleute ins Ausland. Und in jedem jüdischen Dorf in jedem Land, ob christlich oder mohammedanisch, wird ein jüdischer Reisender von den Juden aufgenommen, erhält Essen und Wein, einen Platz in der Synagoge, einen Stall für sein Pferd. Jede Gemeinde entsendet Männer in fremde Länder, die dort von jemand anderem unterstützt werden. Und im nächsten Jahr wird der Wirt der Gast sein.«
Die Fremden fügten sich schnell in das Leben der Gemeinde ein und fanden sogar am lokalen Klatsch Gefallen.
So erfuhr Rob eines Nachmittags, als er im Studierhaus mit einem anatolischen Juden, einem Hufschmied namens
Weitere Kostenlose Bücher