Medicus 01 - Der Medicus
gefällt.< Als er seine Hälfte des Stieres nach Hause brachte, wollte er ihn essen. Aber nachdem er überlegt hatte, klagte er: >Wie kann ich das Fleisch dieses Tieres essen? Eine Hälfte liegt auf Baruchs Abfallhaufen, und ich soll die andere Hälfte essen?< Also warf er auch seine Hälfte des Stieres weg. Seither stehen sie einander feindlich gegenüber. Wenn Reb Baruch weiß sagt, sagt der rabbenu schwarz, wenn der rabbenu Fleisch sagt, sagt Reb Baruch Milch. Als Rahel zwölfeinhalb Jahre alt war, und ihre Eltern eigentlich allmählich ernsthaft über die Hochzeit sprechen hätten sollen, unternahmen die Familien nichts, weil sie wussten, dass jedes Zusammentreffen mit einem Streit zwischen den beiden alten Männern enden würde. Dann ging Reb Meschullum, der Bräutigam, mit seinem Vater und anderen jungen Männern seiner Familie zum erstenmal auf Geschäftsreise ins Ausland. Sie fuhren mit Kupferkesseln nach Marseille, blieben fast ein Jahr dort, handelten und erzielten einen schönen Gewinn. Wenn man die Reisezeit mitrechnet, waren sie beinahe zwei Jahre fort, bis sie vergangenen Sommer zurückkehrten und eine Karawanenladung guter französischer Kleidung mitbrachten. Aber noch immer sorgen die beiden durch die Großväter auseinandergerissenen Familien nicht dafür, dass die Heirat stattfindet.
Inzwischen wissen alle, dass die unglückselige Rahel als aguna, als verlassene Frau, angesehen werden kann. Sie hat Brüste, aber sie stillt keine Kinder, sie ist eine erwachsene Frau, hat aber keinen Ehemann, und das Ganze ist Zu einem Riesenskandal geworden.«
Rob und Meier waren sich darüber einig, dass es für Rob am besten war, wenn er während des Melkens die Meierei mied.
Es war gut, dass Meier mit Rob gesprochen hatte, denn es hätte alles mögliche geschehen können, wenn ihm nicht klargemacht worden wäre, dass die Gastfreundschaft während des Winters nicht den Gebrauch der Frauen einschloß.
Es war hart. Überall um ihn herrschte strotzende Sexualität, die von der Religion gefördert wurde. So hielten sie es zum Beispiel für einen besonderen Segen, sich am Vorabend des Sabbat zu lieben, was vielleicht erklärte, warum sie das Wochenende so gern hatten. Die jungen Männer sprachen offen über diese Dinge und stöhnten, wenn eine Frau unberührbar war: Jüdische Ehepaare durften zwölf Tage nach dem Beginn der Menstruation oder sieben Tage nach ihrem Ende — je nachdem, was länger war - keinen Beischlaf haben. Ihre Enthaltsamkeit war erst zu Ende, wenn die Frau es anzeigte, indem sie sich in dem rituellen Bad, der sogenannten mikwe , reinigte.
Hierzu diente ein mit Ziegeln ausgekleidetes Becken in einem über einer Quelle errichteten Badehaus. Simon erzählte Rob, dass das Wasser der mikwe , um für das Ritual geeignet zu sein, aus einer natürlichen Quelle oder einem Fluss stammen mußte. Die mikwe diente der symbolischen Läuterung, nicht der Reinigung. Die Juden badeten zu Hause, doch jede Woche gesellte sich Rob kurz vor dem Sabbat zu den Männern im Badehaus, das nur das Becken und einen runden Herd mit einem großen lodernden Feuer enthielt, über dem Kessel mit kochendem Wasser hingen. Sie badeten splitternackt in der dampfenden Wärme und wetteiferten um das Vorrecht, Wasser über den rabbenu zu gießen, während sie ihm ständig Fragen stellten.
» Schi-aila, Rabbenu, schi-aila! « Eine Frage, eine Frage! Sch'lomo ben Ehjahus Antwort auf jedes Problem war überlegt und nachdenklich, voll gelehrter Präzedenzfälle und Zitate, die Simon oder Meier Rob manchmal sehr eingehend übersetzten. Die meisten Fragen, die für den andersgläubigen Gast übersetzt wurden, bereiteten ihm weder Herzklopfen noch erregten sie seine dauernde Aufmerksamkeit. Dennoch genoß Rob die Freitagnachmittag im Badehaus; er hatte sich in der Gesellschaft unbekleideter Männer noch nie so wohl gefühlt. Vielleicht hatte es etwas mit seinem beschnittenen Penis zu tun. Wenn er sich unter seinesgleichen befunden hätte, wäre sein Glied längst Gegenstand von neugierigen Blicken, Gekicher, Fragen oder obszönen Vermutungen gewesen. Eine isoliert wachsende exotische Blume ist etwas Besonderes, aber es sieht völlig anders aus, wenn sie in einem Feld von Blumen gleicher Art steht. Rob betrat nie die mikwe , da er wusste, dass dies verboten war. Er begnügte sich damit, sich in dem dampferfüllten Badehaus zu rekeln und zuzuschauen, wie die Juden sich darauf vorbereiteten, ins Becken zu steigen. Sie murmelten den zum Ritus
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