Medicus 01 - Der Medicus
Ezra, auf Persisch plauderte - Klatsch auf Parsi! -, dass am nächsten Tag eine aufregende Konfrontation stattfinden werde: Der rabbenu fungierte als schocket , als Gemeindeschlächter von Fleischtieren. Am nächsten Morgen würde er zwei seiner eigenen Tiere, junge Rinder, schlachten. Eine kleine Gruppe der angesehensten Weisen der Gemeinde amtiere als maschgiot , rituelle Prüfer, die dafür sorgten, dass während des Schlachtens das komplizierte Gesetz bis zur letzten Einzelheit eingehalten wurde. Und während der rabbenu schlachtete, war als Vorsitzender der maschgiot sein einstiger Freund und derzeitig erbitterter Widersacher Reb Baruch ben David vorgesehen.
An diesem Abend unterrichtete Meier Rob aus dem Buch Leviticus, dem 3. Buch Mose. Den Juden war erlaubt, von den Tieren der Erde die folgenden zu essen: jedes Tier, das wiederkäute und einen gespaltenen Huf besaß, also auch Schafe, Rinder, Ziegen und Hirsche. Zu den Tieren, die treife , also nicht koscher , waren, gehörten Pferde, Esel, Kamele und Schweine.
Von den Vögeln durften sie Wildtauben, Hühner, Haustauben, Hausenten und Hausgänse essen. Zu den geflügelten Tieren, vor denen sie Abscheu hegten, gehörten Adler, Strauße, Geier, Falken, Kuckucke, Schwäne, Störche, Eulen, Pelikane, Kiebitze und Fledermäuse. »Ich habe nie in meinem Leben etwas so Gutes gegessen wie einen liebevoll zubereiteten jungen Schwan, der mit gepökeltem Schweinespeck gespickt und dann langsam über dem Feuer gebraten wird.« Meier sah ihn leicht angewidert an. »Das werdet Ihr hier nicht bekommen.«
Der nächste Morgen dämmerte klar und kalt. Das Studierhaus war nach dem schacharit , dem Morgengebet, beinahe leer, denn viele wanderten zum Scheunenhof des rabbenu , um dem rituellen Schlachten beizuwohnen.
Ihr Atem bildete kleine Wölkchen, die in der ruhigen, frostigen Luft schwebten.
Rob stand neben Simon. Leichte Unruhe entstand, als Reb Baruch ben David mit dem zweiten Prüfer, einem gebeugten alten Mann namens Reb Samson ben Zanvil, eintraf, dessen Gesicht ernst und streng war.
»Er ist älter als Reb Baruch oder der rabbenu , aber nicht so gelehrt«, flüsterte Simon. »Und jetzt befürchtet er, zwischen die beiden zu geraten, wenn es zu einem Streit kommen sollte.« Die vier Söhne des rabbenu brachten das erste Tier aus dem Stall, einen schwarzen Stier mit kräftigem Rücken und schweren Hintervierteln. Der Stier brüllte, warf den Kopf hoch, stampfte, und sie mussten die Hilfe der Zuschauer in Anspruch nehmen, um ihn mit Stricken im Zaum zu halten, während die maschgiot jeden Zoll seines Körpers untersuchten.
»Die kleinste Wunde oder der winzigste Riß in der Haut macht das Tier zum Essen ungeeignet«, erklärte Simon.
»Warum?«
Simon sah Rob verärgert an. »Weil das Gesetz so lautet.« Als sie endlich zufrieden waren, führten sie den Stier zu einem mit duftendem Heu gefüllten Futtertrog. Der rabbenu ergriff ein langes Messer. »Siehst du das stumpfe, viereckige Ende des Messers?« fragte Simon. »Es hat keine Spitze, damit es keinen Kratzer in der Haut des Tieres hinterlassen kann. Aber es ist scharf wie ein Rasiermesser.« Sie warteten in der Kälte, aber nichts geschah. »Worauf warten sie?« flüsterte Rob.
»Auf den genau richtigen Moment«, antwortete Simon, »denn das Tier darf sich im Augenblick des Todesschnittes nicht bewegen, sonst ist es nicht koscher .«
Noch während er sprach, blitzte das Messer auf. Mit einem einzigen, geschickten Schnitt wurden der Schlund, die Luftröhre und die Halsschlagader durchtrennt. Im nächsten Augenblick schoß ein roter Strom heraus, und der Stier verlor das Bewusstsein, da die Blutzufuhr zum Gehirn schlagartig abgeschnitten war. Die Augen des Rindes wurden matt, der Stier sank auf die Knie und war einen Augenblick später tot.
Von den Zuschauern kam zufriedenes Murmeln, das jedoch rasch verstummte, denn Reb Baruch hatte das Messer ergriffen, um es zu prüfen.
Auf seinen feinen alten Gesichtszügen spiegelte sich ein innerer Kampf. Baruch wandte sich an seinen älteren Rivalen. »Ist etwas?« fragte der rabbenu kalt.
»Ich befürchte es«, antwortete Reb Baruch. Er zeigte auf einen Fehler in der Mitte der Schneide, eine winzige Kerbe in dem scharf geschliffenen Stahl.
Der alte, knorrige Reb Samson ben Zanvil trat unglücklich zurück, denn man würde von ihm als dem zweiten Prüfer ein Urteil erwarten, das er nicht fällen wollte.
Reb Daniel, Rahels Vater und ältester Sohn des rabbenu ,
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