Medicus 01 - Der Medicus
erzählt, dass dieser andere beschnitten ist. Wie kann das sein?« fragte Reb Pinhas ben Simeon, der Milchmann. Meier zuckte mit den Achseln. »Ein Zufall«, sagte er. »Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Es hat nichts mit Abrahams Bund zu tun.« Einige Tage lang wurde Mär Reuven angestarrt, doch auch er starrte die Juden an, denn mit ihren Hüten, Ohrlocken, buschigen Bärten, mit ihrer dunklen Kleidung und ihren fremdartigen Bräuchen wirkten sie überaus seltsam. Ihre Gewohnheiten beim Gebet faszinierten ihn, sie waren so persönlich: Meier legte seinen Gebetsschal bescheiden und unauffällig an. Reb Pinhas entfaltete seinen tallit , schüttelte ihn beinahe arrogant aus, hielt ihn an zwei Ecken vor sich, warf ihn sich mit einer Armbewegung und einer Drehung seiner Handgelenke über den Kopf, so dass der Schal sich bauschte und sanft wie ein Segen auf seine Schultern fiel.
Wenn Reb Pinhas betete, beugte er sich ruckartig vor und zurück, weil er dem Allmächtigen seine Bitte dringend unterbreiten wollte. Meier schwankte sanft, wenn er seine Gebete aufsagte. Simons Tempo lag irgendwo dazwischen, und er beendete jede Vorwärtsbewegung mit einem leichten Erschauern und Kopfschütteln.
Rob las und studierte sein Buch und die Juden; er benahm sich so sehr wie die übrigen, dass er bald kein Aufsehen mehr erregte. Das Studierhaus war brechend voll - täglich sechs Stunden lang, drei Stunden nach dem Morgengebet, das sie schacharit nannten, und drei Stunden nach dem Abendgebet, ma'ariw —, denn die meisten Männer studierten vor und nach ihrer täglichen Arbeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Zwischen diesen beiden Perioden war es jedoch verhältnismäßig ruhig, da nur ein oder zwei Tische von hauptberuflichen Gelehrten besetzt waren. Bald saß Rob ungezwungen und unbemerkt zwischen ihnen, überhörte ihr Gebrabbel, arbeitete am persischen Qu'ran , dem Koran, und begann schließlich, wirkliche Fortschritte zu machen.
Wenn der Sabbat kam, kümmerte er sich um das Feuer. Es war der schwerste Arbeitstag der Woche, aber dennoch nicht so zeitraubend, dass er nicht einen Teil des Nachmittags studieren konnte. Zwei Tage später half er Reb Elia, dem Tischler, neue Querleisten an Holzstühlen anzubringen. Sonst hatte er nichts zu tun, außer Persisch zu studieren, bis ihm Rahel, die Enkelin des rabbenu , das Melken beibrachte. Sie hatte eine weiße Haut und langes, schwarzes Haar, das sie um ihr herzförmiges Gesicht flocht; die Unterlippe ihres zierlichen Mundes war voll wie die einer Frau, und auf ihrem Hals befand sich ein winziges Muttermal. Ihre großen, braunen Augen ließen ihn nicht los.
Rob stand mit einer Decke in der Hand allein im dunklen Kuhstall. Die Decke roch intensiv nach der Stute und war nur wenig größer als ein Gebetsschal. Mit einer schnellen Bewegung schwang er sie über den Kopf, und sie legte sich so ordentlich um seine Schultern, als wäre sie Reb Pinhas tallit . Rob übte so oft, bis er sich den Gebetsschal selbstsicher umlegen konnte. Die Rinder muhten, während er ruhig, aber zielstrebig die schwankende Bewegung beim Beten übte. Beim Gebet ahmte er lieber Meier nach und nicht energischere Andächtige wie Reb Pinhas.
Das war jedoch der leichtere Teil. Es würde viel Zeit erfordern, ihre fremd klingende, komplizierte Sprache zu erlernen, vor allem, da er sich hauptsächlich darum bemühte, Persisch zu lernen. Sie waren ein Volk, das an Amulette glaubte. Im oberen Drittel des rechten Türpfostens jeder Tür in jedem Haus war ein hölzernes Röhrchen angenagelt, das mesusa hieß. Simon erklärte ihm, dass jede mesusa ein winziges, gerolltes Stückchen Pergament enthielt; auf der Vorderseite waren in rechtwinkeligen assyrischen Buchstaben zweiundzwanzig Zeilen aus dem 5. Buch Mose 6.4—9 und 11.13 — 21 aufgezeichnet, und auf der Rückseite stand das Wort Schaddai - Allmächtiger.
Wie Rob schon während der Reise bemerkt hatte, band sich jeder Erwachsene jeden Morgen außer am Sabbat Riemen mit einer kleinen Lederschachtel an den linken Arm und an den Kopf. Diese hießen tefillin und enthielten Teile von ihrem Heiligen Buch, der Thora; die Schachtel auf der Stirn befand sich in der Nähe des Geistes, die am Arm in der Nähe des Herzens.
»Wir tun es, um den Anweisungen im 5. Buch Mose zu gehorchen«, sagte Simon. »>Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen... Und sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sollen dir ein Denkmal vor
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