Medicus 01 - Der Medicus
Hügeln an, und die Seekrankheit suchte Rob heim wie ein alter Bekannter. Sein Würgen wirkte selbst auf abgehärtete Seefahrer ansteckend, und bald war das Boot voller seekranker, sich übergebender Männer, die in den verschiedensten Sprachen Gott anflehten, ihrem Elend ein Ende zu bereiten.
Als es am schlimmsten war, bat Rob, man möge ihn an Land aussetzen. Doch Reb Lonzano schüttelte den Kopf.
»Ilias wird jetzt nicht mehr anlegen, damit die Mohammedaner beten können, denn hier leben die turkmenischen Stämme. Wen sie nicht töten, versklaven sie, und in jedem ihrer Zelte gibt es herabgewürdigte Unglückliche, die ihr Leben in Ketten verbringen.«
Lonzano erzählte die Geschichte seines Vetters, der gemeinsam mit zwei kräftigen Söhnen versucht hatte, eine Karawane mit Weizen nach Persien zu führen. »Sie wurden gefangen, gefesselt und bis zum Hals in ihren eigenen Weizen eingegraben, bis sie verhungerten; keine schöne Todesart. Schließlich verkauften die Turkmenen unserer Familie die entstellten Leichen, damit wir sie nach jüdischem Ritus begraben konnten.«
Also blieb Rob auf dem Boot und durchlitt vier endlose Tage, die ihm wie eine Reihe von üblen Jahren vorkamen.
Neun Tage, nachdem sie Konstantinopel verlassen hatten, steuerte Ilias die keseboy in einen winzigen Hafen, der von etwa vierzig Häusern umgeben war, von denen einige nur windschiefe Holzbauten waren. Die meisten jedoch waren aus in der Sonne getrockneten Lehmziegeln errichtet. Es war ein ungastlicher Hafen, nicht jedoch für Rob, der sich später immer dankbar an den Ort Rize erinnerte. »Imshallah! Imshallah!" riefen die Derwische, als die keseboy anlegte. Reb Lonzano sprach einen Segen. Mit dunkel gebräunter Haut, magerem Körper und leerem Bauch sprang Rob aus dem Boot und ging vorsichtig über den schwankenden Boden, weg von dem verhaßten Meer.
Dedeh verbeugte sich vor Lonzano, Melek zwinkerte Rob lächelnd zu, und die Derwische brachen auf.
»Kommt«, sagte Lonzano. Die Juden stapften davon, als wüßten sie, wohin sie sich begaben. Rize war ein erbärmlicher Ort. Gelbe Hunde kamen aus den Häusern und kläfften die Reisenden an. Sie kamen an kichernden Kindern mit entzündeten Augen vorbei. Eine schlampige Frau kochte etwas über einem offenen Feuer, zwei Männer schliefen im Schatten so eng beieinander wie ein Liebespaar. Ein alter Mann spuckte aus, als sie vorbeigingen.
»Ihr Hauptgeschäft ist der Verkauf von Vieh an Reisende, die mit dem Schiff hier ankommen und dann den Weg durch die Berge nehmen«, belehrte Lonzano Rob. »Loeb kennt sich mit Tieren ausgezeichnet aus und wird für uns alle einkaufen.«
Rob gab also Loeb Geld, als sie eine kleine Hütte neben einem großen Pferch mit Eseln und Maultieren erreichten. Auch der Händler hatte entzündete Augen. Der dritte und vierte Finger an seiner linken Hand fehlten; jemand hatte sie stümperhaft entfernt, aber er benützte die Stümpfe, um an den Halftern zu ziehen und die Tiere herauszuholen, die er Loeb zeigen wollte.
Loeb handelte nicht und machte auch nicht viel Aufhebens. Oft schien er kaum einen Blick auf das Tier zu werfen. Nur gelegentlich blieb er stehen und prüfte Augen, Zähne, Widerrist und Fesseln. Er wollte nur ein Maultier kaufen, und der Verkäufer schnappte bei seinem Angebot nach Luft. »Nicht genug!« schrie er zornig, doch als Loeb die Schultern hob und wegging, hielt ihn der aufgebrachte Mann zurück und nahm das Geld an.
Bei einem anderen Händler kauften sie drei Tiere. Der dritte Händler, den sie aufsuchten, betrachtete lange die Tiere, die sie bei sich führten, und nicke langsam, ehe er aus seiner Herde Tiere für sie aussuchte. »Jeder kennt den Bestand des anderen Händlers, und er sieht, dass Loeb nur die besten Tiere nimmt«, sagte Arieh. Bald besaßen alle vier Mitglieder der kleinen jüdischen Reisegesellschaft einen zähen, ausdauernden Esel zum Reiten und ein kräftiges Maultier, das als Packtier diente.
Lonzano meinte, wenn alles gutgehe, würden sie nur einen Monat benötigen, um Isfahan zu erreichen, und diese Aussicht verlieh Rob neue Kraft. Sie brauchten einen Tag zur Durchquerung der Küstenebene und drei Tage für das Vorgebirge. Dann hatten sie die Berge erreicht. Rob hatte Berge gern, doch diese hier waren unfruchtbar und voll kahler Felsspitzen; Laubbäume waren eine Seltenheit. »Der Grund dafür ist, dass es den größten Teil des Jahres über kein Wasser gibt«, erklärte Lonzano. »Im Frühjahr kommt es zu
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