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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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wilden, gefährlichen Überschwemmungen, und während der übrigen Zeit herrscht Dürre. Wenn es hier einen See gibt, besteht er mit großer Wahrscheinlichkeit aus Salzwasser, aber wir wissen, wo man Süßwasser findet.« Am Morgen beteten sie. Anschließend spuckte Arieh aus und sah Rob verächtlich an. »Ihr versteht einen Dreck. Ihr seid ein blöder goj .«
    »Und du bist ein Dummkopf und redest wie ein Schwein«, wies ihn Lonzano zurecht.
    »Er weiß nicht einmal, wie man die tefillin anlegt!« murrte Arieh. »Er wurde unter Fremden aufgezogen, und wenn er es nicht weiß, haben wir jetzt Gelegenheit, es ihm beizubringen. Ich, Reb Lonzano ben Ezra ha-Levi aus Masqat, werde ihm die Sitten seines Volkes beibringen.«
    Lonzano zeigte Rob, wie man die Gebetsriemen richtig anlegt. Die Lederriemen wurden dreimal um den linken Oberarm gewunden, so dass sie den hebräischen Buchstaben shin bildeten, dann wurden sie siebenmal über den Unterarm, die Handfläche und derart um die Finger gelegt, dass zwei weitere Buchstaben entstanden, nämlich dalet und jod , die zusammen mit dem ersten das Wort >Shaddaj< bildeten, einen der sieben Namen des Unaussprechlichen. Während die Riemen angelegt wurden, wurden Gebete gesprochen, darunter die Stelle aus Hosea 2.21-22: »Und ich traue dich mir an auf ewig... um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen. Ich traue dich mir an um den Brautpreis der Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen.«
    Als er die Worte nachsprach, begann Rob zu zittern, denn er hatte Jesus gelobt, dass er ihm trotz seiner Verkleidung als Jude im Glauben treu bleiben würde. Dann fiel ihm ein, dass Christus Jude gewesen war und zweifellos während seines Lebens tausende Male die Gebetsriemen angelegt hatte, während er die gleichen Gebete gesprochen hatte. Die bedrückende Last auf seinem Herzen wich, ebenso seine Furcht, und er sprach Lonzano die Worte nach, während die Riemen um seinen Arm seine Hand eigenartig purpurrot färbten, weil das Blut in den Fingern von den engen Schlingen abgeschnürt wurde. Rob fragte sich, woher das Blut wohl gekommen war und wohin es aus der Hand fließen würde, wenn die Riemen entfernt wurden.
    »Noch etwas«, ermahnte ihn Lonzano, als sie die Gebetsriemen lösten. »Ihr dürft nicht versäumen, nach göttlicher Führung zu streben, nur weil Ihr die Sprache nicht beherrscht. Es steht geschrieben, wenn ein Mensch ein vorgeschriebenes Gebet nicht sprechen kann, soll er zumindest an den Allmächtigen denken. Auch das ist ein Gebet.«

    Die Reisegruppe bot keinen kühnen Anblick, zumal Rob nicht, denn wenn jemand groß ist, stimmen die Proportionen nicht mehr, sobald er auf einem Esel reitet. Robs Füße berührten daher fast den Boden, aber der Esel konnte sein Gewicht trotzdem leicht tragen; er war ein behendes Tier, das sich ausgezeichnet dafür eignete.
    Berge zu überwinden. Lonzanos Tempo gefiel Rob nicht, denn der Anführer hielt eine Dornenrute in der Hand, mit der er seinen Esel auf die Flanken schlug, um in anzutreiben.
    »Warum so eilig?« brummte er schließlich, doch Lonzano drehte sich nicht einmal nach ihm um.
    Loeb antwortete. »In der Nähe leben bösartige Menschen. Sie töten alle Reisenden und hassen besonders die Juden.« Die drei hatten die Route im Kopf; Rob kannte sie nicht. Wenn seinen Gefährten etwas zustieß, war es zweifelhaft, ob er in dieser öden, feindseligen Umgebung überleben würde. Der Pfad stieg steil an und fiel jäh ab, während er sich zwischen den dunklen, drohenden Gipfeln der Osttürkei hindurchwand. Am Spätnachmittag des fünften Tages erreichten sie einen kleinen Fluss, der träge zwischen steinigen Ufern dahinfloß.
    »Der Fluss Coruh«, stellte Arieh fest.
    Robs Wasserflasche war beinahe leer, aber Arieh schüttelte den Kopf, als er zum Fluss wollte.
    »Er ist salzig«, warnte er scharf, als hätte Rob dies wissen müssen. In der Dämmerung kamen sie um eine Wegbiegung und stießen auf einen Jungen, der Ziegen hütete. Er rannte davon, als er sie erblickte. »Sollen wir ihn verfolgen?« fragte Rob. »Vielleicht will er den Räubern melden, dass wir hier sind.«
    Nun sah ihn Lonzano lächelnd an, und Rob merkte, dass die Spannung aus seinem Gesicht verschwunden war.
    »Das war ein jüdischer Junge. Wir kommen nach Bayburt.« In dem Dorf lebten nicht einmal hundert Menschen, von denen aber ein Drittel Juden waren. Sie wohnten hinter einer mächtigen, hochragenden Mauer, die am Berghang errichtet worden war.

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