Medicus 01 - Der Medicus
einer Stadt aus Bretterbuden, die sich um den Hafen drängte. Zu Robs Bestürzung erfuhr er, dass sie einen einstündigen Marsch zu einer kleinen Bucht vor sich hauen, in der das Boot vertäut lag, mit dem sie durch den Bosporus und an der Küste des Schwarzen Meeres entlangfahren würden. Er schulterte sein gewichtiges Bündel und folgte den drei Männern.
Plötzlich ging Lonzano neben ihm.
»Ich habe von Zevi von Eurer Auseinandersetzung mit dem Normannen in der Karawanserei gehört. Ihr müßt Euer Temperament besser im Zaum halten, sonst gefährdet Ihr uns alle.«
»Ja, Reb Lonzano.«
Nach einiger Zeit stieß er einen Seufzer aus und schob seinen Sack auf die andere Seite.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Inghili?«
Rob schüttelte den Kopf. Er hielt das Bündel auf seiner schmerzenden Schulter fest, der salzige Schweiß rann ihm in die Augen, und er dachte grinsend an Zevi.
»Es ist oft schwer, ein Jude zu sein«, antwortete er.
Schließlich erreichten sie eine verlassene, enge Bucht, in der ein breites, flaches Frachtschiff mit einem Mast und drei Segeln, einem großen und zwei kleinen, auf den Wellen schaukelte. »Was für ein Boot ist das?« fragte er Reb Arieh. »Eine keseboy . Ein gutes Boot.«
»Endlich!« rief der Kapitän. Er hieß Ilias und war ein friedlicher, blonder Grieche mit sonnengebräuntem Gesicht, der beim Lachen schneeweiße Zähne mit einigen Lücken dazwischen blitzen ließ. Rob fand, dass er allerdings für einen Geschäftsmann zu sorglos war, denn an Bord warteten schon neun Vogelscheuchen, die sich Kopfhaare und Augenbrauen und Wimpern abrasiert hatten. Lonzano stöhnte. »Derwische, mohammedanische Bettelmönche.« Ihre Kutten waren dreckige Lumpen. An dem Strick, den sie als Gürtel um die Taille gebunden hatten, hingen ein Napf und eine Schleuder. Auf der Stirnmitte trugen sie ein rundes, dunkles Mal wie eine verhärtete Schwiele. Reb Lonzano erklärte Rob später, dass es sich um die zabiba handelte, weil fromme Mohammedaner fünfmal am Tage während des Gebets den Kopf gegen den Boden drücken. Einer von ihnen, vielleicht ihr Anführer, legte die Hände auf die Brust und verbeugte sich in die Richtung der Juden. » Salam .«
Lonzano verbeugte sich ebenfalls. » Salam aleikum .«
»Kommt, kommt!« rief der Grieche, und sie wateten durch das angenehm kühle Wasser, weil die Bootsbesatzung, zwei Jungen in Lendentüchern, bereits wartete, um ihnen die Strickleiter hinauf in die flache keseboy zu helfen. Es gab weder ein Deck noch Aufbauten, nur einen offenen Laderaum für die Fracht, die aus Bauholz, Pech und Salz bestand. Da Ilias verlangte, dass ein Gang in der Mitte freiblieb, damit die Besatzung die Segel bedienen konnte, blieb wenig Raum für die Passagiere, und nachdem ihre Bündel verstaut waren, sahen sich Juden und Mohammedaner zusammengepfercht wie Salzheringe. Als die beiden Anker gelichtet wurden, begannen die Derwische zu schreien. Ihr Anführer, der Dedeh hieß - er hatte ein Greisengesicht und außer der zabiba noch drei dunkle Male auf der Stirn, die offenbar Verbrennungen waren, - warf den Kopf zurück und schrie zum Himmel: » Allah Ek-beer !« Der gedehnte Vokal schien über dem Meer zu schweben.
» La ilah illallah !« schrien seine Schüler im Chor. » Allah Ek-beer !«
Die keseboy trieb von der Küste weg, fand mit flatternden Segeln den Wind und steuerte dann stetig nach Osten.
Rob steckte zwischen Reb Lonzano und einem mageren jungen Derwisch. Der Mohammedaner lächelte ihn an, griff in die Tasche und zog vier armselige Stücke Brot heraus, die er an die Juden verteilte. »Dankt ihm in meinem Namen«, sagte Rob. »Ich will das Brot nicht.«
»Wir müssen es essen«, widersprach Lonzano, »sonst sind sie zutiefst beleidigt.«
»Es ist aus feinem Mehl«, erklärte der Derwisch zwanglos auf Persisch. »Wirklich ein ausgezeichnetes Brot.«
Lonzano sah Rob gereizt an, weil er die Sprache nicht verstand. Der junge Derwisch sah zu, als sie das Brot aßen, das wie kalter Schweiß schmeckte.
»Ich bin Melek abu Ishak«, stellte sich der Derwisch vor. »Ich bin Jesse ben Benjamin.«
Der Derwisch nickte und schloss die Augen. Bald schnarchte er, was Rob für einen Beweis seiner Weisheit hielt, denn die Reise in einer keseboy war überaus langweilig. Weder das Meer noch der nahe Küstenstrich schienen sich jemals zu verändern. Doch dies bot Rob Gelegenheit zum Nachdenken. Als er Ilias fragte, warum sie sich nahe der Küste hielten, lächelte der Grieche.
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