Medicus 01 - Der Medicus
verklungen war, gaben Robs Knie nach. Er sank auf den Lehmboden, legte sich dann auf den Rücken und wußte im nächsten Augenblick genauso wenig wie die tote Maus.
Er schlief achtzehn Stunden lang. Als er erwachte, waren seine Glieder verkrampft; sie schmerzten wie bei einem alten Mann mit steifen Gelenken. Das Haus befand sich nicht gerade im besten Zustand -Sprünge durchzogen den Lehmverputz der Wände, und eines der Fensterbretter zerbröckelte - aber seit seine Eltern gestorben waren, stellte dies die erste Behausung dar, die wirklich ihm gehörte.
Entsetzt fiel ihm ein, daß sein neues Pferd ungetränkt, ungefüttert und noch immer gesattelt in dem kleinen Stall stand. Nachdem er den Sattel abgenommen und in seinem Hut Wasser von dem nahen öffentlichen Brunnen geholt hatte, eilte er zu der Stallung, in der sein Maultier und der Esel untergebracht waren. Er kaufte Holzeimer, Hirsestroh, einen Korb Hafer und brachte alles auf dem Rücken des Esels nach Hause.
Als die Tiere versorgt waren, zog er seine neuen Kleider an und ging ins öffentliche Bad, vorher aber noch zum Gasthaus von Salman dem Kleineren.
»Ich komme wegen meiner Habseligkeiten«, sagte er zum Wirt. »Sie wurden sicher aufbewahrt, obwohl ich schon um Euer Leben bangte, als zwei Nächte vergingen und Ihr nicht zurückkamt.« Salman sah ihn besorgt an.
»Man spricht über einen fremden Dhimmi , einen europäischen Juden, der zur Audienz kam und vom Schah ein calãt erhalten hat.« Rob nickte.
»Ihr wart es also wirklich!« flüsterte Salman.
Rob setzte sich schwerfällig. »Ich habe nichts in den Magen bekommen, seit Ihr mir das letzte Mal zu essen gegeben habt.« Salman tischte ihm eilfertig Essen auf. Rob probierte zunächst vorsichtig Brot und Ziegenmilch, weil er aber so großen Hunger verspürte, ging er bald zu vier gekochten Eiern, noch mehr Brot, einem kleinen harten Käse und einem Teller pilaw über. Allmählich kehrte Kraft in seine Glieder zurück.
Im Bad lag er lange im Wasser, um seine Blutergüsse zu pflegen. Als er seine neue Kleidung anlegte, fühlte er sich wie ein Fremder, wenn auch weniger fremd als damals, als er den Kaftan zum erstenmal angezogen hatte.
Es gelang ihm zwar mühsam, die Wickelgamaschen anzulegen, aber um den Turban zu wickeln, dazu würde er Unterricht brauchen, weshalb er vorläufig den ledernen Judenhut aufbehielt. Wieder zu Hause angelangt, entledigte er sich der toten Maus, dann überdachte er seine Lage. Er verfügte nun über einen bescheidenen Wohlstand, aber das war es ja nicht, worum er den Schah gebeten hatte, aber noch während er sich in Gedanken seiner Zukunft zuwandte, wurde er durch Khuffs Ankunft unterbrochen, der mürrisch, wie zuvor, ein dünnes Pergament aufrollte und ihm laut vorlas.
Erlaß des Königs der Welt, Alã-al-Dawla, des hoben und majestätischen Gebieters, unvergleichlich erhaben und angesehen, prächtig in Titeln, die unerschütterliche Grundlage des Königreichs, ausgezeichnet, edel und großmütig, der Löwe von Persien und mächtigste Herrscher der Welt. Gerichtet an den Gouverneur, den Verwalter und andere königliche Offiziere der Stadt Isfahan, des Sitzes der Monarchie und des Ortes der Wissenschaft und Medizin. Es wird ihnen kund und zu wissen getan, daß Jesse, Sohn des Benjamin, Jude und Baderchirurg aus der Stadt Leeds in Europa, in unser Königreich gekommen ist, das bestregierte der ganzen Welt und ein wohlbekannter Zufluchtsort der Unterdrückten, und die Gelegenheit und die Ehre hatte, vor den Augen des Allerhöchsten zu erscheinen und mit demütigem Gesuch um die Hilfe des wahren Statthalters des wahren Propheten, der im Paradies ist, nämlich unserer erlauchten Majestät, zu bitten. Sie sollen wissen, daß Jesse, Sohn des Benjamin aus Leeds, königliche Gunst und Wohlwollen zugesichert wird und er hiermit ein königliches Gewand mit den damit verbundenen Ehren und Privilegien erhält, und daß alle ihn dementsprechend behandeln sollen. Ihr müßt auch wissen, daß dieser Erlaß unter der Androhung strenger Strafen ergeht und daß jeder Verstoß dagegen mit dem Tod geahndet wird. Gegeben am dritten Panj Shanbah des Monats Rejab im Namen unserer allerhöchsten Majestät durch seinen Pilger zu den erhabenen und heiligen Orten und seinen Leiter und Oberaufseher des Palastes der Frauen des Allerhöchsten, den Imam Mirza-abul Qandrasseh, Großwesir. Es ist notwendig, sich in allen weltlichen Angelegenheiten mit der Hilfe des allerhöchsten Gottes zu
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