Medicus 01 - Der Medicus
einer der sieben Studenten, die mit vier Ärzten Ibn Sinas Gefolge bildeten, während er durch das Krankenhaus ging. An diesem Tag blieb der Arzt aller Ärzte nicht weit vom Strohsack eines zusammengeschrumpften Mannes mit mageren Gliedern stehen. »Wer ist der diensttuende Student dieser Abteilung?«
»Ich, Herr. Mirdin Askari.«
Das also ist Ariehs Vetter, dachte Rob. Er betrachtete interessiert den dunkelhäutigen jungen Juden, dessen Gesicht aufgrund eines langen Kinns und der kräftigen weißen Zähne einfach und angenehm wirkte wie das eines intelligenten Pferdes.
Ibn Sina deutete auf den Patienten. »Berichte uns von diesem Kranken, Askari!«
»Er heißt Amahl Rahin, ein Kameltreiber, der vor drei Wochen mit heftigen Schmerzen im unteren Rückenbereich ins Krankenhaus kam. Zuerst vermuteten wir, daß er sich in betrunkenem Zustand die Wirbelsäule verletzt hat, aber der Schmerz griff bald auf den rechten Hoden und die rechte Hüfte über.«
»Wie sieht sein Urin aus?« fragte Ibn Sina.
»Bis zum dritten Tag war sein Urin klar. Hellgelb. Am Morgen des dritten Tages fand ich im Urin Blut, und am Nachmittag schied er sechs Harnsteine aus: vier winzig wie Sandkörner und zwei von der Größe kleiner Erbsen.
Seither hat er keine Schmerzen mehr, und sein Urin ist wieder klar, aber er will nichts essen.« Ibn Sina runzelte die Stirn. »Was habt ihr ihm angeboten?« Der Student wirkte verwirrt. »Die übliche Kost: verschiedene Arten von pilaw , Hühnereier, Schaffleisch, Zwiebeln, Brot... Er rührt nichts an. Seine Gedärme haben aufgehört zu arbeiten, sein Puls ist schwächer, und er wird immer matter.«
Ibn Sina nickte und sah die ihn Umgebenden der Reihe nach an. »Was fehlt ihm also?«
Ein anderer Student nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Ich glaube, Herr, daß seine Eingeweide sich verschlungen haben und den Durchgang der Nahrung durch seinen Körper verhindern. Da er das spürt, nimmt er keine Nahrung zu sich.«
»Danke, Fadil Ibn Parviz«, antwortete Ibn Sina höflich. »Aber bei einer solchen Erkrankung würde der Patient essen, nur würde er die Nahrung wieder erbrechen.«
Er wartete. Als keine weitere Bemerkung fiel, trat er zu dem Mann auf dem Strohsack.
»Amahl«, begann er, »ich bin Hussein, der Arzt, Sohn von Abdullah, dem Sohn von al-Hasan, dem Sohn von Ali, dem Sohn von Sina. Das sind meine Freunde, und sie werden auch deine werden. Woher stammst du?«
»Aus dem Dorf Shaini, Herr«, flüsterte der Mann. »Ah, ein Mann aus Fars! Ich habe glückliche Tage in Fars verbracht. Die Datteln der Oase in Shaini sind groß und süß, nicht wahr?« In Amahls Augen traten Tränen, und er nickte stumm. »Askari, geh und bring unserem Freund Datteln und eine Schale warme Milch!«
Bald darauf wurde das Geforderte gebracht, und die Ärzte und Studenten sahen zu, wie der Mann hungrig die Früchte verschlang. »Langsam, Amahl! Langsam, mein Freund«, warnte ihn Ibn Sina. »Askari, du sorgst dafür, daß die Kost unseres Freundes geändert wird!«
»Ja, Herr.« Sie gingen weiter.
»Das müßt ihr euch über die Kranken, die sich in unserer Obhut befinden, merken: Sie kommen zu uns, aber sie werden nicht unseresgleichen, und sehr oft essen sie nicht das, was wir essen. Löwen mögen kein Heu, auch wenn sie in einem Kuhstall sind. Wüstenbewohner leben hauptsächlich von saurem Quark und ähnlichen Milchprodukten. Die Bewohner des Dar-al-Maraz essen Reis und trockene Speisen. Die Khorasanis wollen nur mit Mehl angedickte Suppe. Die Inder bevorzugen Erbsen, Hülsenfrüchte, Öl und scharfe Gewürze. Die Menschen aus Transoxianien schätzen Wein und Fleisch, besonders Pferdefleisch. Die Leute aus Fars und Arabistan leben hauptsächlich von Datteln. Die Beduinen sind an Fleisch, Kamelmilch und Heuschrecken gewöhnt. Die Menschen aus Gurgan, die Georgier, die Armenier und die Europäer sind gewohnt, zu den Mahlzeiten geistige Getränke zu sich zu nehmen und das Fleisch von Kühen und Schweinen zu essen.« Ibn Sina blickte die um ihn versammelten Männer scharf an. »Wir jagen ihnen Angst ein, junge Herren. Oft können wir sie nicht retten, und manchmal bringt unsere Behandlung sie um; wir dürfen sie aber nicht auch noch verhungern lassen.«
Der Arzt aller Ärzte verschränkte die Hände auf dem Rücken und ließ sein Gefolge stehen.
Am nächsten Morgen besuchte Rob in einem kleinen Amphitheater mit ansteigenden steinernen Sitzreihen seine erste Vorlesung in der madrassa . Aus Nervosität war err schon
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