Medicus 01 - Der Medicus
waffnen.
»Aber die Schule?« Rob konnte nicht an sich halten, er mußte heiser fragen.
»Mit der Schule habe ich nichts zu schaffen«, winkte der Stadthauptmann ab und entfernte sich ebenso eilig, wie er gekommen war. Kurze Zeit später brachten zwei stämmige Träger eine Sänfte vor Robs Tür, in der sich der hadschi Davout Hosein befand nebst einer Menge Feigen, die als Zeichen süßen Glücks in dem neuen Haus gedacht waren. Sie saßen zwischen den Ameisen und den Bienen auf dem Boden in dem vernachlässigten kleinen Aprikosengarten und aßen die Feigen. »Die Aprikosenbäume sind noch erstklassig«, stellte der hadschi fest und musterte sie mit Kennermiene. Er erklärte eingehend, wie die vier Bäume durch fleißiges Beschneiden, Wässern und Düngen mit Pferdemist wieder zum Tragen gebracht werden konnten. Schließlich verstummte Hosein. »Noch etwas?« murmelte Rob.
»Ich habe die Ehre, die Grüße und Glückwünsche des ehrenwerten Abu Ali al-Hussein Ibn Abdullah Ibn Sina zu überbringen.« Der hadschi schwitzte und war so blaß, daß die zabiba auf seiner Stirn besonders deutlich hervortrat. Er tat Rob leid, aber nicht so leid, daß dies die köstliche Freude des Augenblicks beeinträchtigt hätte, die süßer und wertvoller war als der betäubende Duft der kleinen Aprikosen, die den Boden unter seinen Bäumen bedeckten. Denn Hosein überreichte Jesse, Sohn des Benjamin, die Einladung, sich in der madrassa einzuschreiben und im maristan Medizin zu studieren, so daß er schließlich den Stand eines Medicus anstreben konnte.
Vierter Teil
Der Maristan
Ibn Sina
Robs erster Morgen als Student versprach, heiß zu werden, es war ein drückender Tag. Rob zog sorgsam die neuen Kleider an, stellte aber fest, daß es für die Wickelgamaschen zu warm war. Auch der grüne Turban war viel zu schwer, und schließlich nahm er die ungewohnte Last vom Kopf und setzte den ledernen Judenhut auf, den er als Wohltat empfand.
Dadurch war seine Identität leicht erkennbar, als er sich der Großen Titte näherte, wo junge Männer im grünen Turban miteinander plauderten.
»Da kommt dein Jude, Karim«, rief einer von ihnen. Ein Mann, der auf den Stufen gesessen hatte, stand auf und kam auf Rob zu. Der erkannte den gutaussehenden, schlanken Studenten wieder, der während seines ersten Besuchs im Krankenhaus den Pfleger so heftig zur Rede gestellt hatte.
»Ich bin Karim Harun. Und du bist wohl Jesse ben Benjamin.«
»Ja.«
»Der hadschi hat mich angewiesen, dich in der Schule und im Krankenhaus herumzuführen und deine Fragen zu beantworten.«
»Du wirst dich in den carcan zurückwünschen, Hebräer!« rief jemand, und die Studenten lachten.
Rob lächelte. »Das glaube ich nicht.« Es war offensichtlich, daß die ganze Schule von dem europäischen Juden gehört hatte, der in den Block genagelt worden war und dann auf Intervention des Schahs hin die Aufnahme an die medizinische Akademie erreicht hatte. Sie begannen die Führung mit dem maristan , und Rob erfuhr dabei, daß das Krankenhaus in eine Männer- und eine Frauenabteilung unterteilt war. Bei den Männern gab es Pfleger, bei den Frauen Pflegerinnen und Krankenträgerinnen. Die Ärzte und die Ehemänner der Patientinnen waren die einzigen Männer, die in die Frauenabteilung Einlaß fanden.
Zwei Räume waren der Chirurgie vorbehalten, und ein langes, niedriges Zimmer enthielt Regale voller säuberlich beschrifteter Gefäße und Flaschen. »Das ist das khasanat-al-sharaf, die Schatzkammer der Arzneimittel«, erklärte Karim. »An allen Montagen und Donnerstagen halten die Ärzte in der Schule ein Praktikum ab. Nachdem die Patienten untersucht und behandelt wurden, mischen die Apotheker die Arzneien, welche die Ärzte verschrieben haben. Die Apotheker des maristan sind bis zum letzten Gran genau und ehrlich.
Die meisten Apotheker in der Stadt sind nämlich Huren, die eine Flasche Pisse verkaufen und schwören, daß es Rosenwasser ist.« Im benachbarten Schulgebäude zeigte ihm Karim Untersuchungsräume, Hörsäle und Laboratorien, eine Küche und ein Refektorium sowie ein großes Bad für den Lehrkörper und die Studenten. »Es gibt achtundvierzig Ärzte und Chirurgen, aber nicht alle sind Dozenten. Mit dir sind wir siebenundzwanzig Studenten der Medizin. Die Ausbildungszeit ist unterschiedlich, und daran sind die Beamten schuld. Du wirst als Kandidat zur mündlichen Prüfung erst zugelassen , wenn der verdammte Lehrkörper findet, daß du soweit bist.
Wenn du
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