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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Unregelmäßigkeit erkannt wurde, weil sie sich anders anfühlte als das normale Glied oder die normale Seite. Er zeigte ihm auch, wie er mit den Fingerspitzen scharf und kurz auf den Körper des Patienten klopfen mußte, um vielleicht ein abnormales Geräusch zu bemerken und auf diesem Weg eine Krankheit zu entdecken. Vieles davon war für Rob neu und merkwürdig, aber er wurde rasch mit der Routine vertraut, und er fand sich leicht zurecht, weil er schon jahrelang Patienten untersucht hatte.
    Seine schwierigste Tageszeit begann am frühen Abend, wenn er in sein Haus in der Jehuddijeh zurückkehrte, denn da begann der Kampf zwischen dem Bedürfnis zu studieren und dem Bedürfnis zu schlafen. Aristoteles erwies sich dabei als weiser alter Grieche, und Rob lernte, daß ein fesselnder Gegenstand das an sich unangenehme Studium zu einem Vergnügen machen konnte. Dies war eine bedeutsame Entdeckung, vielleicht die einzige, die ihm ermöglichte, so verbissen zu arbeiten, wie es notwendig war, denn Sajjid Sa'di schrieb ihm bald vor, Plato zu lesen; und al-Juzjani trug ihm so nebenbei, als solle er ein Stück Holz ins Feuer legen, auf, die zwölf Bücher über Medizin in der >Historia naturalis< des Plinius zu lesen - »als Vorbereitung für die Lektüre des gesamten Galen im nächsten Jahr«. Rob mußte auch ständig den Qu'ran auswendig lernen. Je mehr er seinem Gedächtnis zumutete, desto gereizter wurde er, zumal das Buch aus Wiederholungen bestand und voller Anschuldigungen gegen Juden und Christen war.
    Aber er gab nicht auf. Er verkaufte den Esel und das Maultier, damit er keine Zeit mehr für sie aufwenden mußte. Er aß seine Mahlzeiten schnell und ohne Vergnügen; der Leichtsinn hatte keinen Raum in seinem Leben.
    Jeden Abend las er, bis er nicht mehr konnte, und es gelang ihm, winzige Mengen Öl in seine Lampe zu gießen, damit sie von selbst erlosch, wenn sein Kopf auf seine Arme sank und er am Tisch über seinen Büchern einschlief. Jetzt wußte er, warum Gott ihm einen großen, kräftigen Körper und gute Augen gegeben hatte, denn sein Bemühen, ein Gelehrter zu werden, strengte ihn bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit an.

    Eines Abends, als er nur noch wußte, daß er nicht mehr studieren konnte und ausspannen mußte, floh er aus dem Häuschen in der Jehuddijeh und stürzte sich in das Nachtleben des nächstgelegenen maidan .
    Er war die weiten Plätze der Stadt gewöhnt, wie sie ihm tagsüber erschienen: von der Sonne ausgedörrte, freie Räume, auf denen nur wenige Leute umhergingen oder schlafend im Schatten lagen. Doch er stellte fest, daß diese Plätze bei Nacht kühl und lebendig wurden und daß auf ihnen ausgelassene Feste unter den Männern des einfachen Volkes stattfanden.
    Rob blieb an einem mit Fackeln beleuchteten Bücherstand stehen, wo der erste Band, den er sich ansah, eine Sammlung von Zeichnungen enthielt. Jede Skizze zeigte im Grunde das gleiche: Mann und Frau, die geschickt in den verschiedenen Stellungen des Liebesaktes abgebildet waren, Stellungen, die ihm nicht einmal in seinen kühnsten Träumen eingefallen wären.
    »Alle vierundsechzig sind abgebildet, Herr«, warb der Buchhändler. Rob hatte nicht die geringste Ahnung, was mit den vierundsechzig gemeint war. Er wußte nur, daß es gegen das Gesetz des Islam war, Bilder von der menschlichen Gestalt zu verkaufen oder zu besitzen, denn der Qu'ran besagte, daß Allah - Er sei gepriesen! - der einzige Schöpfer des Lebens war. Aber das Buch fesselte Rob, und er kaufte es. An einem Getränkestand wurde ihm von einem weibischen Kellner ein Lustknabe angeboten. Er winkte aber lieber einer gut instandgehaltenen Kutsche, auf deren Tür eine Lilie gemalt war. Drinnen war es dunkel. Eine Frau wartete, bis die Maultiere die Kutsche in Bewegung setzten, bevor sie sich regte.
    Bald sah er sie so gut, um erkennen zu können, daß der füllige Körper gut auch ihn zur Welt gebracht haben könnte. Während des Aktes fand er sie angenehm, denn sie war eine ehrliche Hure; sie täuschte keine Leidenschaft oder angebliches Vergnügen vor, sondern betreute ihn sanft und geschickt. Nachher zog die Frau an einer Schnur, um dem Zuhälter auf dem Kutschbock die Beendigung des Beischlafs anzuzeigen, worauf dieser die Maultiere zügelte.
    »Bring mich nach der Jehuddijeh«, rief Rob. »Ich werde die Zeit bezahlen.«
    Sie lagen bequem in der schwankenden Kutsche. »Wie heißt du?« fragte er.
    »Lorna.« Sie war erfahren genug, um nicht nach seinem Namen

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