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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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hervorquellenden Augen rollte bis vor einen carcan .
    Die sterblichen Überreste des Hingerichteten wurden fortgeschafft, dann wurde einem jungen Mann, der mit der Frau eines anderen ertappt worden war, der Bauch aufgeschlitzt. Diesmal benutzte der Scharfrichter einen langen, schlanken Dolch, mit dem er den Bauch von links nach rechts aufschnitt, so daß die Gedärme des Ehebrechers rasch herausquollen.
    Zum Glück gab es keine Mörder, die gestreckt, gevierteilt und dann ausgelegt worden wären, um von Hunden und Aasgeiern gefressen zu werden.
    Ein Dieb, der noch sehr jung war, beschmutzte sich vor Angst und Schmerz, als ihm die Hand abgeschlagen wurde. Es stand zwar ein Krug mit heißem Pech bereit, aber Rob brauchte ihn nicht, denn die Wucht des Schwertschlages verschloß den Stumpf, den Rob nur waschen und verbinden mußte.
    Bei einer dicken, weinenden Frau war die Arbeit unangenehmer. Sie war verurteilt worden, weil sie sich zum zweitenmal über den Qu'ran lustig gemacht hatte, und ihr wurde die Zunge herausgeschnitten. Das rote Blut spritzte hervor, während sie heiser und wortlos schrie, bis es Rob gelang, die Blutgefäße abzuklemmen.
    Ein wilder Haß auf die mohammedanische Justiz und Qandrassehs Gerichtshof begann sich in ihm zu regen.
    »Das ist eines eurer wichtigsten Werkzeuge«, erklärte Ibn Sina den Medizinstudenten feierlich. Er hielt ein Uringlas hoch, das seit den Römern matula genannt wurde. Es war glockenförmig und hatte einen breiten, gebogenen Rand, um den Urin aufzufangen. Ibn Sina hatte einem Glasbläser beigebracht, die matulae für seine Ärzte und Studenten herzustellen.
    Rob wußte längst, daß etwas nicht stimmte, wenn der Urin Blut oder Eiter enthielt, Ibn Sina aber hatte bereits zwei Wochen lang nur über den Urin vorgetragen.
    War er dünn oder ölig? Die feinen Abstufungen des Geruchs wurden beurteilt und besprochen. Wies süßlicher Duft auf Zucker hin? Oder kreidiger Geruch auf das Vorhandensein von Steinen? Roch er infolge einer verzehrenden Krankheit säuerlich? Oder scharf nach Gras, weil jemand Spargel gegessen hatte? Floß der Harn reichlich, bedeutete das, daß der Körper die Krankheit hinausschwemmte. Floß er spärlich, konnte das bedeuten, daß inneres Fieber die Säfte des Organismus austrocknete.
    Was die Färbung betraf, lehrte Ibn Sina seine Schüler, den Urin mit dem Blick eines Künstlers für seine Farbpalette zu betrachten. Einundzwanzig Farbabstufungen von fast Farblos über Gelb, dunklen Ocker, Gelbrot und Braun bis zu Schwarz zeigten die verschiedenen Kombinationen von contenta oder unaufgelösten Bestandteilen an. Warum all dieses Getue über Pisse? dachte Rob müde. Laut fragte er: »Warum ist der Urin denn so wichtig?«
    Ibn Sina lächelte. »Er kommt aus dein Körperinneren, wo sich wichtige Dinge abspielen.« Der Arzt aller Ärzte las ihnen einen Ausschnitt aus den Schriften Galens vor, in dem es hieß, daß die Nieren die Organe seien, die den Urin absonderten:
    Jeder Schlächter weiß das aufgrund der Tatsache, daß er jeden Tag die Lage der Nieren und die der Harnröhre - Ureter genannt - sieht, die von jeder der beiden Nieren in die Blase führt, und wenn er die Anatomie betrachtet, schließt er daraus, was der Zweck der Nieren ist und welchen Vorgängen diese dienen.
    Die Vorlesung brachte Rob in Harnisch. Ärzte sollten sich nicht mit Schlächtern beraten oder anhand von toten Schafen und Schweinen lernen müssen, wie Menschen gebaut sind. Wenn es so verdammt wichtig war zu wissen, was in den Körpern von Männern und Frauen vorging, warum schauten sie dann nicht in Männer und Frauen hinein? Wenn man Qandrassehs mullahs bei der Paarung oder einer Sauferei fröhlich vergessen konnte, warum wagten dann die Ärzte nicht, sich über die heiligen Männer hinwegzusetzen, um ihr Wissen zu erweitern ? Niemand sprach von ewiger Verstümmelung oder Wiedererweckung der Toten, wenn ein islamischer Gerichtshof einem Gefangenen den Kopf abschnitt oder den Bauch aufschlitzte.

    Früh am nächsten Morgen kamen zwei von Khuffs Palastwächtern mit einem von Maultieren gezogenen Wagen in die Jehuddijeh, um Rob abzuholen.
    »Seine Majestät wird heute Besuche abstatten, Herr, und fordert Eure Anwesenheit«, meldete einer der Soldaten.
    Was jetzt? fragte sich Rob.
    »Der Stadthauptmann ersucht Euch um Eile.« Der Soldat räusperte sich verlegen. »Vielleicht wäre es besser, wenn der Herr seine besten Kleider anlegt.«
    »Ich trage meine besten Kleider«, erwiderte

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