Medicus 01 - Der Medicus
gewesen waren.
Einem indischen Tischler beschrieb er, was er wollte, indem er Skizzen auf die Erde zeichnete, und der Mann fertigte ihm ohne Schwierigkeiten einen groben Tisch aus Olivenholz und einen Stuhl aus Kiefernholz im europäischen Stil an. Von einem Kupferschmied erstand Rob ein paar Küchengeräte. Sonst befaßte er sich kaum mit dem wenig gepflegten Haus, so daß er genausogut in einer Höhle hätte wohnen können. Der Winter stand bevor. Die Nachmittage waren noch heiß, aber die Nachtluft, die durch die Fenster drang, wurde rauh und kündigte den Wechsel der Jahreszeit an. Er fand auf dem armenischen Markt mehrere billige Schaffelle und schlief zufrieden unter ihnen. An einem Freitagabend überredete ihn sein Nachbar Jakob ben Rashi, der Schuhmacher, zum Sabbatessen zu ihm zu kommen. Es war ein bescheidenes, aber gemütliches Haus, und Rob genoß zunächst die Gastfreundschaft. Naoma, Jakobs Frau, bedeckte ihr Gesicht und sprach den Segen über die Wachskerzen. Die dralle Tochter Lea trug eine schmackhafte Mahlzeit aus Flußfischen, gedünstetem Geflügel, pilaw und Wein auf. Lea hielt den Blick zumeist sittsam gesenkt, lächelte jedoch Rob einige Male an. Sie war im heiratsfähigen Alter, und ihr Vater machte zweimal während des Essens vorsichtige Andeutungen über ihre beträchtliche Mitgift. Man schien allgemein enttäuscht zu sein, als Rob sich bald zu seinen Büchern zurückzog und sich dankend verabschiedete.
Sein Leben verlief nach einer festen Ordnung. Tägliche religiöse Übungen waren für den Studenten der madrassa obligatorisch. Die Juden durften ihren eigenen Gottesdienst besuchen, weshalb Rob jeden Morgen zur Synagoge ging, die Haus des Friedens hieß. Die Vormittage waren mit Vorlesungen in Philosophie und Religion, die er mit grimmiger Zielstrebigkeit besuchte, und mit einer Unmenge von medizinischen Kursen ausgefüllt. Er machte Fortschritte in der persischen Sprache, doch es kam immer wieder während einer Vorlesung vor, daß er gezwungen war, nach der Bedeutung eines Wortes oder einer Redewendung zu fragen. Manchmal gaben ihm die anderen Studenten eine Erklärung, oft freilich auch nicht.
Eines Morgens erwähnte Sajjid Sa'di, der Philosophielehrer, das gashtagh-daftaran . Rob beugte sich zu Abbas Sefi, der neben ihm saß. »Was ist das gashtagh-daftaran ?«
Aber der dicke Medizinstudent warf ihm nur einen ärgerlichen Blick zu und schüttelte den Kopf.
Jemand stieß Rob in den Rücken. Als er sich umdrehte, sah er Karim Harun auf dem steinernen Sitz hinter und über ihm. Karim grinste. »Eine Schule von alten Schreibern«, flüsterte er. »Sie haben die Geschichte der Astrologie und der frühen persischen Wissenschaft aufgezeichnet.« Der Sitz neben ihm war frei, und er zeigte darauf. Rob wechselte den Platz. Von nun an sah er sich um, sooft er eine Vorlesung besuchte; wenn Karim anwesend war, saßen sie nebeneinander.
Der liebste Teil des Tages war ihm der Nachmittag, an dem er im maristan arbeitete. Das wurde in seinem dritten Monat an der Schule, als er an die Reihe kam, die Patienten zu untersuchen, noch besser. Der Aufnahmevorgang setzte ihn wegen seiner Kompliziertheit in Staunen, doch al-Juzjani zeigte ihm, wie es gemacht wurde. »Hör gut zu, denn das ist eine wichtige Aufgabe!«
»Ja, Hakim.« Er hatte sich angewöhnt, al-Juzjani immer gut zuzuhören, denn er hatte bald gemerkt, daß der Chirurg neben Ibn Sina der beste Arzt am maristan war. Einige Studenten hatten ihm verraten, daß al-Juzjani zwar die längste Zeit seines Lebens Ibn Sinas Assistent und Mitarbeiter gewesen war, daß er jedoch aus eigener Machtbefugnis sprach.
»Du mußt die ganze Geschichte des Kranken aufzeichnen, und bei der ersten Gelegenheit wirst du sie ausführlich mit einem älteren Arzt besprechen.«
So wurde also jeder Kranke nach seiner Beschäftigung, seinen Gewohnheiten, nach ansteckenden Krankheiten, an denen er gelitten hatte, sowie nach Atem-, Magen- und Harnbeschwerden gefragt. Der Patient mußte die gesamte Kleidung ablegen, und die körperliche Untersuchung umfaßte auch eine gehörige Prüfung von Speichel, Erbrochenem, Urin und Exkrementen; auch der Puls wurde gemessen, und man versuchte, anhand der Wärme der Haut festzustellen, ob der Patient Fieber hatte.
Al-Juzjani zeigte ihm, wie er mit je einer Hand gleichzeitig über beide Arme des Patienten, dann über beide Beine, dann über beide Seiten des Körpers streichen mußte, damit jedes Gebrechen, jede Schwellung oder andere
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