Medicus 01 - Der Medicus
sollte offenbar bald beginnen, denn Khuff eilte davon und postierte sich unter der Tür.
Der Botschafter Armeniens war der erste Gesandte, der in der Halle einritt. Er war ein noch junger Mann mit schwarzem Haar und Bart, seiner Erscheinung nach jedoch eine graue Eminenz, denn er ritt eine graue Stute und trug Silberfuchsschwänze auf einem grauen Seidengewand. Hundertfünfzig Schritte vor dem Thron wurde er von Khuff angehalten, der ihm beim Absteigen half und ihn den restlichen Weg führte, damit er Alãs Füße küßte.
Nachdem das erledigt war, überreichte der Gesandte dem Schah verschwenderische Geschenke von seinem Landesherrn, darunter eine große Kristall-Laterne, neun kleine Kristallspiegel mit Goldrahmen, hundertzwanzig Ellen Purpurstoff, zwanzig Flaschen feines Parfüm und fünfzig Zobelfelle.
Alã hieß den Armenier ohne sonderliches Interesse an seinem Hof willkommen und trug ihm auf, seinem gnädigen Herrn für die Geschenke zu danken.
Als nächster ritt der Gesandte der Khasaren ein, wurde von Khuff in Empfang genommen, und die gesamte Zeremonie wurde wiederholt. Das Geschenk des Khasarenkönigs bestand aus drei schönen Araberpferden und einem angeketteten jungen Löwen, der allerdings nicht gezähmt war, so daß das Tier in seiner Angst auf den Teppich mit den Gold- und Seidenfäden schiß.
Die Anwesenden warteten stumm auf die Reaktion des Schahs. Alã runzelte weder die Stirn noch lächelte er, sondern er wartete, bis Sklaven und Diener eilig die beleidigende Substanz, die Geschenke und den Khasaren entfernten. Die Höflinge zu Füßen des Schahs saßen wie leblose Statuen auf ihren Kissen, den Blick auf den König der Könige gerichtet. Sie waren wie Schatten, bereit, sich im Gleichklang mit Alãs Körper zu bewegen.
Endlich erfolgte ein kaum wahrnehmbares Signal, und alles atmete auf, als der nächste Gesandte, der des Emirs von Qarmatien, angekündigt wurde und auf einem rotbraunen Pferd in die Halle ritt.
Rob schaute weiterhin respektvoll zu, aber im Geist verließ er den Hof, um stumm seine Lektionen zu memorieren. Die vier Elemente: Erde, Wasser, Feuer und Luft; die durch Berührung erkennbaren Eigenschaften: Kälte, Hitze, Trockenheit und Feuchtigkeit; die Temperamente: sanguinisch, phlegmatisch, cholerisch und melancholisch; die Fähigkeiten: körperliche, seelische und geistige. Er stellte sich die einzelnen Teile des Auges vor, wie Hunain sie anführte, nannte sieben Heilkräuter und Medikamente, die für Wechselfieber, und achtzehn, die für Fieber empfohlen wurden, und sagte sogar im Geist mehrmals die neun ersten Strophen der dritten sura des Qu'ran mit dem Titel >Die Familie von Imran< auf. Seine Beschäftigung begann ihm eben zu gefallen, als er unterbrochen wurde, weil er sah, daß Khuff in einen Wortwechsel mit einem herrischen, weißhaarigen alten Mann auf einem nervösen dunklen Fuchs verstrickt war.
»Ich werde als letzter vorgestellt, weil ich ein Seldschukentürke bin. Das ist eine absichtliche Beleidigung meines Volkes.«
»Jemand muß der letzte sein, Hadad Kahn, und an diesem Tag ist es Eure Exzellenz«, beruhigte ihn der Stadthauptmann. Wütend versuchte der Seldschuke, das große Pferd an Khuff vorbeizutreiben und bis zum Thron zu reiten. Der grauhaarige alte Soldat tat, als wäre der Hengst und nicht der Reiter schuld. »Ho!« schrie er, packte den Zügel und versetzte dem Pferd mit seinem Stock mehrere kräftige Schläge auf die Nase, worauf das Tier wieherte und zurückwich.
Die Soldaten hielten den Hengst im Zaum, während Khuff dem khan beim Absteigen half, wobei seine Hände nicht übertrieben sanft mit ihm umgingen. Dann führte er den Gesandten zum Thron. Der Seldschuke führte den ravi zemin nur flüchtig aus und entbot mit zitternder Stimme die Grüße seines Fürsten, ohne Geschenke zu überreichen.
Alã-al Dawla vergeudete kein Wort, sondern entließ ihn kalt mit einem Wink seiner Hand, und die Audienz war zu Ende, die nach Ansicht Robs bis auf den Gesandten der Seldschuken und den scheißenden Löwen außerordentlich langweilig verlaufen war.
Bei Hinda, der Händlerin auf dem Judenmarkt, kaufte er drei mesusas , die kleinen, hölzernen Röhrchen, welche winzige, zusammengerollte Pergamente mit Zitaten aus der Heiligen Schrift enthielten. Sie gehörten zu seiner Tarnung. Er befestigte sie an den rechten Pfosten seiner Türen, nicht weniger als eine Handbreite vom oberen Rand, so wie die mesusas in den jüdischen Häusern von Tryavna angebracht
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