Medicus 01 - Der Medicus
zu fragen.
»Ich bin Jesse ben Benjamin.«
»Sei gegrüßt, Dbimmi!« Sie berührte schüchtern die angespannten Muskeln in seinen Schultern. »Warum sind sie wie Seilknoten? Wovor hast du Angst, ein großer junger Mann wie du?«
»Ich fürchte, ich bin ein Ochse, wenn ich ein Fuchs sein müßte.« Er erwiderte ihr Lächeln.
»Du bist kein Ochse, das habe ich gemerkt«, antwortete sie trocken.
»Was machst du hier?«
»Ich studiere am maristan , um Medicus zu werden.«
»Ah. Wie der Arzt aller Ärzte. Meine Kusine ist Köchin bei seiner ersten Frau, seit er in Isfahan weilt.«
»Kennst du den Namen seiner Tochter?« fragte er.
»Es gibt keine Tochter, Ibn Sina hat keine Kinder. Er hat zwei Frauen, Reza, die Fromme, die alt und krank ist, und Despina, die Häßliche, die aber jung und schön ist, aber Allah - Er sei gepriesen! - hat keine von beiden mit Nachkommen gesegnet.«
»Ich verstehe.«
Er nahm sie noch einmal gemächlich, bevor die Kutsche in der Jehuddijeh ankam. Dann dirigierte er den Kutscher bis zu seiner Tür und bezahlte gut dafür, daß er dank dieser Frau wieder fähig war, hineinzugehen, seine Lampe anzuzünden und sich seinen besten Freunden und schlimmsten Feinden, den Büchern, zu stellen.
Die Belustigung des Schahs
Er befand sich in einer großen Stadt inmitten von Menschen, lebte aber dennoch einsam. Jeden Morgen kam er mit den anderen Studenten zusammen, und jeden Abend verließ er sie wieder. Er wußte, daß Karim, Abbas und noch einige in Zellen innerhalb der madrassa untergebracht waren, und er nahm an, daß Mirdin Askari und die anderen jüdischen Studenten irgendwo in der Jehuddijeh wohnten, aber er hatte keine Ahnung, wie ihr Leben außerhalb der Schule und des Krankenhauses verlief. Vermutlich weitgehend wie das seine, ausgefüllt mit Lesen und Lernen. Er war zu beschäftigt, um sich seiner Einsamkeit bewußt zu werden.
Nur zwölf Wochen lang blieb Rob damit betreut, neue Patienten ins Krankenhaus aufzunehmen, dann wurde ihm eine Aufgabe zugeteilt, die er haßte: Die diensttuenden Studenten waren abwechselnd an den Tagen, an denen vom kelonter Urteile vollstreckt wurden, ans islamischen Gericht befohlen.
Robs Magen revoltierte, als er zum erstenmal ins Gefängnis zurückkam und an den carcans vorbeiging. Ein Wächter führte ihn zu einem Verlies, in dem sich ein Mann stöhnend hin und her warf. An der Stelle, an der sich die rechte Hand des Gefangenen befinden sollte, war ein grober, blauer Lappen mit einer Hanfschnur an den Stumpf gebunden, über dem der Unterarm schrecklich angeschwollen war. »Kannst du mich hören? Ich heiße Jesse.«
»Ja, Herr«, murmelte der Mann. »Wie heißt du?«
»Ich bin Djahel.«
»Wie lange ist es her, seit sie dir die Hand abgeschlagen haben?« Der Mann schüttelte verwirrt den Kopf. »Zwei Wochen«, antwortete der Wächter an seiner Statt. Rob nahm den Lappen ab und fand eine Einlage aus Pferdemist. Als Baderchirurg hatte er oft gesehen, daß Mist auf diese Weise verwendet wurde, aber er wußte, daß dies selten vorteilhaft und meist schädlich war. Er warf die Einlage weg.
Der Unterarm war hinter der Amputationsstelle mit einer weiteren Hanfschnur abgebunden. Infolge der Schwellung hatte sich die Schnur in das Gewebe eingeschnitten, und der Arm begann bereits schwarz zu werden.
Rob schnitt die Schnur durch und wusch den Stumpf langsam und sorgfältig. Er rieb ihn mit einer Mischung aus Sandelholz und Rosenwasser ein, bedeckte ihn anstelle des Mistes mit Kampfer, so daß Djahel zwar stöhnte, aber Erleichterung empfand.
Das war aber auch schon der beste Teil dieses Tages, denn er wurde von den Verliesen zum Gefängnishof geführt, wo die Bestrafungen begannen.
Sie spielten sich genauso ab, wie er sie während seiner Gefangenschaft hier erlebt hatte, nur daß er, während er im carcan gehangen hatte, sich in Bewußtlosigkeit hatte flüchten können. Jetzt stand er starr zwischen den mullahs , die Gebete sangen, während ein muskulöser Wächter ein übergroßes Krummschwert hob. Der Gefangene, ein Mann mit aschgrauem Gesicht, der wegen Anstiftung zum Verrat und Aufruhr verurteilt worden war, wurde gezwungen, niederzuknien und die Wange auf den Block zu legen.
»Ich liebe den Schah! Ich küsse seine geheiligten Füße!« schrie der kniende Mann in einem vergeblichen Versuch, das Urteil abzuwenden, doch niemand antwortete ihm, und das Schwert sauste herab. Der Schlag war sauber geführt, und der Kopf mit den vor Angst und Qual
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