Medicus 01 - Der Medicus
mit den erlesensten Jahrgängen.
Rob dachte über dieses Rätsel, das Persien hieß, nach, und als der Muezzin vom Minarett der Freitagsmoschee rief, ging er auf unsicheren Beinen unter einem perlgrauen Himmel nach Hause.
Die Abordnung
Ibn Sina war daran gewöhnt, daß der fromme Imam Qandrasseh Verderben prophezeite. Er konnte den Schah nicht beeinflussen, hatte aber seine Ratgeber mit zunehmender Schärfe darauf hingewiesen, daß Weintrinken und Unzucht die Vergeltung durch eine Macht, die über dem Thron stehe, bringen würden. Zu diesem Zweck hatte der Großwesir Nachrichten aus dem Ausland gesammelt und Beweise dafür vorgelegt, daß Allah - allmächtig ist Er! - auf der ganzen Erde die Sünder bestrafte.
Das schlimmste Anzeichen für Allahs Mißfallen kam von den königlichen Astrologen, die mit großer Sorge berichteten, daß es innerhalb von zwei Monaten zu einer Konjunktion der drei bedeutendsten Planeten, Saturn, Jupiter und Mars, im Zeichen des Wassermanns kommen würde. Sie stritten über das genaue Datum des Ereignisses, waren sich aber über seine Bedeutung einig. Selbst Ibn Sina hörte sich die Neuigkeit ernst an, denn er wußte, daß schon Ptolemaios über die von der Konjunktion des Mars und des Jupiter ausgehende Bedrohung geschrieben hatte.
Es war also alles längst vorherbestimmt, als Qandrasseh an einem strahlenden Morgen Ibn Sina kommen ließ und ihm mitteilte, daß in Schiras, der größten Stadt im Gebiet von Anshan, eine Seuche ausgebrochen sei.
»Welche Seuche?«
»Der Schwarze Tod«, antwortete der Imam.
Ibn Sina wurde blaß, hoffte aber, daß der Imam unrecht hatte, denn der Schwarze Tod hatte Persien schon dreihundert Jahre lang verschont. Aber sein Verstand befaßte sich sofort mit dem Problem. »Man muß sofort Soldaten auf der Gewürzstraße hinunter beordern, um alle Karawanen und Reisenden, die vom Süden kommen, zurückzuschicken. Und wir müssen eine Abordnung von Medizinern nach Anshan entsenden.«
»Wir bekommen nicht gerade viel Steuern aus Anshan«, gab der Imam zu bedenken, aber Ibn Sina schüttelte den Kopf. »Es liegt in unserem eigenen Interesse, die Krankheit einzudämmen, denn der Schwarze Tod schreitet schnell von einem Ort zum anderen fort.«
Während Ibn Sina in sein Haus zurückkehrte, beschloß er, keine Abordnung von Kollegen zu schicken, denn falls die Pest nach Isfahan kam, würden die Ärzte hier benötigt werden. Er wollte statt dessen nur einen Arzt und eine Gruppe von Studenten aussuchen. Die Notlage sollte benutzt werden, um die Besten und Stärksten zu erproben und abzuhärten. Nach kurzer Überlegung nahm Ibn Sina Feder, Tinte und Papier und schrieb:
Hakim Fadil Ibn Parviz, Leiter
Suleiman-al-Gamal, Student im dritten Jahr
Jesse ben Benjamin, Student im ersten Jahr
Mirdin Askari, Student im zweiten Jahr
Die Gruppe sollte aber auch einige der schwächsten Kandidaten der Schule enthalten, um diesen eine einmalige, von Allah gesandte Gelegenheit zu geben, ihre ungünstigen Lernergebnisse vergessen zu lassen und doch noch Ärzte zu werden. Zu diesem Zweck fügte er der Liste folgende Namen hinzu:
Omar Nivahend, Student im dritten Jahr
Abbas Sefi, Student im dritten Jahr
Ali Rashid, Student im ersten Jahr
Karim Harun, Student im siebenten Jahr
Als die acht jungen Menschen versammelt waren und der Arzt aller Ärzte ihnen mitteilte, daß er sie nach Ashan schicken wolle, um die Pest zu bekämpfen, konnten sie weder ihm noch einander in die Augen sehen; es war eine Art von Verlegenheit.
»Jeder von euch muß Waffen tragen«, befahl Ibn Sina, »denn wir können unmöglich voraussehen, wie sich die Menschen verhalten werden, wenn dort die Pest ausgebrochen ist.« Ali Rashid stieß einen langen, bebenden Seufzer aus. Er war sechzehn Jahre alt, ein Junge mit runden Wangen und sanften Augen, der so viel Heimweh nach seiner Familie in Hamadhãn hatte, daß er Tag und Nacht weinte und sich seinem Studium nicht widmen konnte. Rob zwang sich, sich auf die Worte Ibn Sinas zu konzentrieren: »... Wir können euch nicht sagen, wie ihr die Seuche bekämpfen sollt, denn zu unseren Lebzeiten ist sie nicht aufgetreten. Aber wir besitzen ein Buch, das Ärzte, die Seuchen an verschiedenen Orten überlebt haben, vor drei Jahrhunderten zusammengestellt haben.
Wir werden euch dieses Buch geben. Zweifellos enthält es vielerlei Theorien und Maßnahmen von geringem Wert, aber darunter könnte es auch zweckdienliche Informationen geben.« Ibn Sina strich sich den
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