Medicus 01 - Der Medicus
Bart.
»Angesichts der Möglichkeit, daß der Schwarze Tod eine Folge atmosphärischer Verseuchung durch faulige Ausdünstungen ist, müßt ihr meiner Ansicht nach mit aromatischen Hölzern große Feuer in der Nähe sowohl der Kranken als auch der Gesunden unterhalten. Die Gesunden sollten sich mit Wein oder Essig waschen und ihre Häuser mit Essig bespritzen, und sie sollten Kampfer und andere flüchtige Substanzen einatmen. Auch ihr, die ihr die Kranken behandeln werdet, solltet das tun. Es wäre gut, wenn ihr euch, sobald ihr euch den Kranken nähert, in Essig getauchte Schwämme vor die Nasen haltet und jegliches Wasser kocht, bevor ihr es trinkt, um es von allen Verunreinigungen zu befreien. Und ihr müßt jeden Tag eure Hände pflegen, denn der Qu'ran lehrt, daß sich der Teufel unter den Fingernägeln versteckt.« Ibn Sina räusperte sich.
»Wer diese Seuche überlebt, darf nicht sofort nach Isfahan zurückkehren, sonst bringt er sie auch noch hierher.
Ihr sucht ein Haus auf, das eine Tagereise östlich von der Stadt Nain und drei Tagereisen östlich von hier auf Ibrahims Felsen steht. Dort werdet ihr euch einen Monat lang ausruhen, bevor ihr zurückkommt. Verstanden?«
Sie nickten. »Ja, Herr«, antwortete hakim Fadil Ibn Parviz mit unsicherer Stimme, wobei er in einer neuen Stellung für alle sprach. Der junge Ali weinte leise vor sich hin. Karim Haruns Gesicht war von düsterer Vorahnung erfüllt. Schließlich sagte Mirdin Askari: »Meine Frau und die Kinder... Ich muß Vorkehrungen treffen, um sicher zu sein, daß es ihnen an nichts mangelt, wenn...«
Ibn Sina nickte. »Denjenigen von euch, die Verpflichtungen haben, stehen nur wenige Stunden Zeit zur Verfügung, um die entsprechenden Dinge zu erledigen.«
Rob hatte nicht gewußt, daß Mirdin verheiratet war und Kinder hatte. Der jüdische Student war stets verschlossen und selbstbewußt gewesen. Doch nun waren seine Lippen blutleer und bewegten sich in stummem Gebet.
Rob hatte ebensolche Angst wie die anderen vor dieser Aufgabe, von der es vielleicht keine Rückkehr gab, aber er bemühte sich um Beherztheit. Er würde nun wenigstens nicht mehr im Gefängnis als Hilfsarzt dienen müssen, sagte er sich.
»Noch etwas«, ergänzte Ibn Sina, der sie väterlich betrachtete. »Ihr müßt sorgfältig Aufzeichnungen führen, für diejenigen, welche die nächste Seuche zu bekämpfen haben. Und ihr müßt sie an einer Stelle hinterlegen, an der sie gefunden werden können, falls euch etwas zustoßen sollte.«
Als am nächsten Morgen die Sonne die Baumkronen rot färbte, trabten sie über die Brücke, die den Fluß des Lebens überquerte. Jeder hatte ein gutes Pferd und war entweder von einem Packpferd oder einem Maultier begleitet.
Nach einer Weile schlug Rob Fadil vor, daß ein Mann als Kundschafter vorausreiten und ein zweiter als Nachhut zurückbleiben solle. Der junge hakim tat, als überlegte er, dann gab er die entsprechenden Befehle.
Am selben Abend war Fadil sofort einverstanden, als Rob jenes System einander abwechselnder Wachtposten vorschlug, das in Karl Frittas Karawane angewendet worden war. Sie saßen um das Feuer aus Dornbüschen und schwankten zwischen lustiger und düsterer Stimmung.
»Galens bester Einfall war seine Äußerung darüber, was ein Medicus während der Pest tun soll«, behauptete Suleiman-al-Gamal finster. »Er sagte, ein Medicus sollte vor der Pest fliehen, um am Leben zu bleiben und die Kranken behandeln zu können, und genau das tat er auch.«
»Der große Arzt Rhazes hat es besser formuliert«, meinte Karim:
»Drei kleine Wörter vertreiben die Pest,
Schnell, weit und spät, so man dich nur läßt.
Schnell kannst du fort, so weit es nur geht,
Und wenn du zurückkehrst, dann möglichst spät.«
Ihr Gelächter war zu laut. Den ersten Wachtposten machte Suleiman. Es hätte daher die anderen am nächsten Morgen nicht so zu überraschen brauchen, als sie beim Erwachen feststellten, daß er sich während der Nacht aus dem Staub gemacht und seine Pferde mitgenommen hatte. Als sie am folgenden Abend ihr Lager aufschlugen, bestimmte Fadil Mirdin Askari zum Wachtposten, was sich als gute Wahl erwies: Askari bewachte sie gut.
Der Wachtposten bei ihrem dritten Lager war Omar Nivahend, der es Suleiman nachmachte und während der Nacht mit seinen Tieren floh. Als die zweite Flucht entdeckt wurde, hielt Fadil eine Beratung ab. »Es ist keine Sünde, vor dem Schwarzen Tod Angst zu haben, sonst wäre jeder von uns auf ewig
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