Medicus 01 - Der Medicus
weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele, erführet mich aufrechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück;
Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.«
Er schaufelte das Grab zu und stellte das Kreuz auf. Als er wegging, verharrte Mary mit geschlossenen Augen auf den Knien. Ihre Lippen bewegten sich und formten Worte, die nur ihr Geist hören konnte.
Laß ihm Zeit, im Haus allein zu sein. Sie hatte ihm erzählt, daß sie ihre beiden Pferde freigelassen hatten, damit sie sich selbst unter dem spärlichen Bewuchs des wadi Nahrung suchen konnten, und er ritt los, um die Tiere einzufangen.
Er sah, daß sie mit einem Dornbuschzaun eine Koppel eingefriedet hatten. Drinnen fand er die Knochen von vier Schafen, die wahrscheinlich Raubtiere getötet und gefressen hatten. Zweifellos hatte Cullen viel mehr Schafe gekauft, die dann von Menschen gestohlen worden waren.
Dieser verrückte Schotte! Er hätte nie eine Herde bis nach Schottland bringen können. Und nun würde er selbst auch nicht mehr heimkommen, und seine Tochter war in einem unwirtlichen Land allein auf sich gestellt.
An einem Ende des schmalen, steinigen Tales entdeckte Rob die Überreste von Cullens Schimmel. Vielleicht hatte er sich ein Bein gebrochen und war so zu einer leichten Beute geworden; der Kadaver war fast ganz aufgezehrt. Rob erkannte die Spuren von Schakalen, kehrte zu dem frischen Grab zurück und legte schwere, flache Steine darauf, damit die Tiere die Leiche nicht ausgruben. Er fand Marys schwarzes Pferd am hinteren Ende des wadi , so weit von den fressenden Schakalen entfernt, wie es ihm möglich gewesen war. Es war nicht schwer, dem Pferd ein Halfter anzulegen, denn es sehnte sich offensichtlich nach Geborgenheit und Sicherheit.
Als er zum Haus zurückkam, war Mary gefaßt, aber noch sehr blaß. »Was hätte ich getan, wenn du nicht gekommen wärst?« Er lächelte und erinnerte sich an die verbarrikadierte Tür und das Schwert in ihrer Hand.
»Was notwendig gewesen wäre.« Sie war sehr beherrscht. »Ich möchte mit dir nach Isfahan gehen.«
»Das möchte ich auch.« Sein Herz tat einen Sprung, doch ihre nächsten Worte ernüchterten ihn. Gibt es dort eine Karawanserei?« Ja. Sie ist sehr gut besucht.«
Dann werde ich mich einer Karawane mit Begleitschutz anschließen, die nach Westen zieht zu einem Haien, von dem aus ich eine Passage nach Hause buchen kann.«
Er trat zu ihr und ergriff ihre Hände, es war das erste Mal seit ihrem Wiedersehen, daß er sie berührte. Ihre Finger waren von der Arbeit rauh geworden und nicht so glatt wie die Hand einer Haremsdame, aber er wollte sie nicht loslassen. »Mary, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Ich kann dich nicht wieder gehen lassen.« Ihre Augen ruhten ruhig auf ihm. »Komm mit mir nach Isfahan, aber bleib dort bei mir!« Es wäre leichter gewesen, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, ihr schuldbewußt alles über Jesse ben Benjamin und die Notwendigkeit, sich zu tarnen, zu erzählen.
Es war, als fließe ein Strom zwischen ihren Fingern, aber aus ihren Augen sprach Aufgebrachtheit, eine Art Entsetzen. »So viele Lügen!« tadelte sie ihn ruhig. Sie löste sich von ihm und ging ins Freie. Sie blieb so lange draußen, daß er sich bereits Sorgen machte, da kam sie wieder zurück.
»Erkläre mir, warum die Täuschung der Mühe wert ist.« Er zwang sich, seine Gründe in Worte zu fassen, ein schwieriges Unterfangen, dem er sich unterzog, weil er sie wollte und wußte, daß sie das Recht auf Wahrheit hatte.
»Weil ich berufen bin. Als hätte Gott gesagt: >Bei der Erschaffung des Menschen habe ich Fehler begangen, und ich beauftrage dich, einige meiner Fehler zu beheben.< Es ist nicht meine Entscheidung. Das Schicksal hat mich auserwählt.«
Seine Worte jagten ihr Angst ein. »Es ist eine Gotteslästerung, sich als jemanden hinzustellen, der Gottes Fehler verbessert!«
»Nein, nein«, entgegnete er sanft. »Ein guter Arzt ist nur sein Werkzeug.«
Sie nickte, und nun glaubte er einen Schimmer von Verständnis, vielleicht sogar von Neid in ihren Augen zu erkennen. »Ich müßte dich immer mit einer Geliebten
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