Medicus 01 - Der Medicus
dieser Woche wurde sie regelmäßig von Brechreiz geplagt, und als ihre monatliche Regel ausblieb, gab es keinen Zweifel mehr. Es kam nicht weiter überraschend, denn sie hatten sich unermüdlich geliebt, aber Mary hatte schon befürchtet, daß Gott ihre Verbindung vielleicht nicht segnete.
Rob hielt ihr den Kopf und reinigte sie, wenn sie erbrechen mußte, dachte sowohl voll Freude als voll Angst an das Kind und fragte sich unruhig, was für ein Geschöpf aus seinem Samen wachsen würde. Er entkleidete seine Frau jetzt mit noch mehr Leidenschaft als bisher, denn der Wissenschaftler in ihm freute sich über die Möglichkeit, die Veränderungen bis zur geringsten Einzelheit zu beobachten: die Brustwarzenhöfe, die größer und röter wurden, die schwellenden Brüste, den sich sanft wölbenden Bauch, den neuen Gesichtsausdruck, weil Mund und Nase fast unmerklich anschwollen. Er verlangte, daß sie sich auf den Bauch legte, damit er die Ansammlung von Fett an ihren Hüften und Hinterbacken und das leichte Dickerwerden ihrer Beine beurteilen konnte. Zuerst gefiel Mary diese Aufmerksamkeit, doch allmählich verlor sie die Geduld. »Die Zehen«, brummte sie. »Was ist mit den Zehen?« Er musterte ihre Füße ernsthaft und berichtete, daß die Zehen unverändert seien.
Der Reiz der Chirurgie wurde Rob durch eine Flut von Kastrationen verdorben. Die Schaffung von Eunuchen war ein alltägliches Verfahren, und es gab zwei Methoden. Bei gutaussehenden Männern, die die Eingänge der Harems bewachen sollten, wo sie wenig Kontakt mit den Frauen des Hauses hatten, kam es nur zur Entfernung der Hoden. Für den allgemeinen Dienst im Harem wurden häßliche Männer vorgezogen, oder man bezahlte für Entstellungen wie eine eingeschlagene oder von Natur abstoßende Nase, einen verzogenen Mund, wulstige Lippen und schwarze oder unregelmäßige Zähne einen Aufpreis. Um solche Männer für den Geschlechtsverkehr vollkommen unfähig zu machen, wurden ihre Geschlechtsteile gänzlich entfernt, und sie waren gezwungen, eine Feder bei sich zu tragen, die sie brauchten, um ihre Blase zu entleeren.
Oft wurden Knaben kastriert. Manchmal wurden sie nach Bagdad in eine Schule zur Ausbildung von Eunuchen geschickt, wo sie zu Sängern oder Musikern heranwuchsen, oder aber sie lernten eingehend die Geschäftspraktiken oder wurden als Einkäufer und Verwalter ausgebildet. Dadurch wurden sie zu überaus geschätzten Dienern, zu einem wertvollen Besitz ihres Herrn - wie Ibn Sinas kastrierter Sklave Wasif.
Die Technik des Kastrierens war einfach. Der Chirurg ergriff den zu amputierenden Körperteil mit der linken Hand. In der rechten Hand hielt er ein scharfes Rasiermesser und trennte die zu entfernenden Teile mit einem einzigen Schnitt ab, denn Schnelligkeit war entscheidend. Sofort danach wurde ein Brei aus warmer Asche auf die blutende Wunde gelegt, und der Mann war für immer verändert. Al-Juzjani hatte ihm erklärt, daß die Kastrierung manchmal als Bestrafung durchgeführt wurde. Man legte dann keinen Aschenbrei auf und ließ den Patienten verbluten.
Rob kam eines Abends nach Hause, betrachtete seine Frau und versuchte, nicht daran zu denken, daß keiner der Männer oder Knaben, die er operiert hatte, jemals eine Frau schwängern würde. Er legte ihr die Hand auf den warmen Bauch, der noch nicht merklich größer geworden war.
»Bald wird er so groß sein wie eine grüne Melone«, sagte sie. »Ich möchte ihn sehen, wenn er eine Wassermelone ist.« Er war ins Haus der Weisheit gegangen und hatte über den Fötus nachgelesen. Ibn Sina hatte geschrieben, daß das Leben, nachdem sich die Gebärmutter über dem Samen geschlossen habe, in drei Stadien entstehe. Dem Arzt aller Ärzte zufolge wird das Klümpchen im ersten Stadium in ein kleines Herz verwandelt; im zweiten Stadium bildet sich ein zweites Klümpchen und entwickelt sich zur Leber; und im dritten Stadium bilden sich alle wichtigen Organe. »Ich habe eine Kirche entdeckt«, berichtete Mary. »Eine christliche Kirche?« fragte er und war erstaunt, als sie nickte. Er hatte nicht gewußt, daß es eine Kirche in Isfahan gab. In der vorhergehenden Woche waren Mary und Fara auf den armenischen Markt gegangen, um Weizen zu kaufen. Sie waren irrtümlich in eine schmale, nach Urin stinkende Nebengasse geraten und so auf die Kirche des Erzengels Michael gestoßen. »Ostkatholiken?«
Sie nickte wieder. »Es ist ein kleines, armseliges Gotteshaus, das von einer Handvoll sehr armer armenischer
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