Medicus 01 - Der Medicus
rangierten die Chirurgen deutlich unter den Ärzten, aber in Persien trugen sie den besonderen Titel ustad und waren genauso geachtet und wohlhabend.
Aber Rob hatte auch Vorbehalte. »Die Chirurgie ist in gewisser Weise durchaus befriedigend. Wir sind aber darauf beschränkt, auf der Außenseite der Haut zu operieren. Das Körperinnere ist ein Geheimnis, das in über tausend Jahre alten Büchern weitergegeben wird. Wir wissen fast nichts über das Körperinnere.«
»So muß es auch sein«, meinte Mirdin gelassen und schlug einen rukh mit seinem Bauern. »Christen, Juden und Mohammedaner sind sich darin einig, daß es Sünde ist, die menschliche Gestalt zu entweihen.«
»Ich spreche nicht von Entweihung. Ich spreche von Chirurgie, ich spreche vom Sezieren. Die Alten haben ihre Wissenschaft nicht aus Furcht vor einer Sünde geknebelt, und das wenige, das wir wissen, stammt von den alten Griechen, denen es erlaubt war, den Körper zu öffnen und zu studieren. Sie haben die Toten seziert und nachgesehen, wie der Mensch innen ausschaut. In diesen längst vergessenen Tagen erleuchtete ihr Geist einen kurzen Augenblick lang die gesamte Medizin, und dann versank die Welt in Dunkelheit.« Er kam ins Grübeln, und sein Spiel litt darunter, so daß Mirdin rasch den anderen rukh und eines seiner Kamele schlug.
»Ich glaube«, sagte Rob schließlich fast zu sich selbst, »daß es während all dieser langen Jahrhunderte finsteren Unwissens kleine, geheime Feuer gegeben hat.«
Jetzt wurde Mirdins Aufmerksamkeit vom Brett abgelenkt. »Männer, die die Kraft besaßen, heimlich Leichname zu sezieren, die den Priestern Trotz boten und als Arzte Gottes Auftrag erfüllten.« Mirdin war starr. »Mein Gott.
Sie galten als Hexenmeister.«
»Sie waren nicht imstande, ihr Wissen weiterzugeben, hatten es aber wenigstens für sich selbst gewonnen.« Nun blickte Mirdin beunruhigt drein.
Rob lächelte. »Nein, ich tue es nicht«, sagte er sanft. »Ich habe schon genug Probleme damit, daß ich mich als Jude ausgebe. Ich besitze einfach nicht den dafür notwendigen Mut.«
»Man muß auch für kleine Geschenke dankbar sein«, schloß Mirdin trocken. Er war ziemlich verwirrt und abgelenkt worden, so daß jetzt er schlecht spielte und kurz nacheinander einen Elefanten und zwei Pferde verlor, aber Rob hatte noch nicht gut genug gelernt, wie man einen Vorteil ausnutzt, um zu siegen. Rasch und konzentriert sammelte Mirdin seine Kräfte, und nach einem Dutzend Zügen mußte Rob zu seinem Bedauern wieder einmal shahtreng , den Schmerz des Königs, hinnehmen.
Marys Erwartungen
Fara war Marys einzige Freundin, aber die Jüdin genügte ihr. Die beiden Frauen gewöhnten sich daran, stundenlang miteinander zu gestikulieren. Ihre Unterhaltung verlief ohne die Fragen und Antworten, die für die meisten Gespräche in der Gesellschaft kennzeichnend sind. Manchmal sprach Mary, und Fara hörte sich einen Erguß auf Gähsch an, den sie nicht verstand, manchmal wieder sprach Fara in ihrer Sprache, und Mary blickte verständnislos drein. Die Worte waren merkwürdigerweise unwichtig. Worauf es ankam, waren die Spiegelung der Gefühle in den Gesichtern, die Handbewegungen, der Klang der Stimme, Geheimnisse, die durch die Augen mitgeteilt wurden.
So teilten sie einander ihre Gefühle mit, und für Mary war es ein Vorteil, denn sie sprach über Themen, die sie jemandem gegenüber, den sie erst so kurz kannte, nie erwähnt hätte. Sie offenbarte den Schmerz über den Verlust ihres Vaters, ihre Sehnsucht nach der christlichen Messe. Und sie sprach über Dinge, die sie sonst auch einer langjährigen Freundin nicht anvertraut hätte: wie sie Rob so sehr liebte, daß sie manchmal zu zittern begann und es nicht unterdrücken konnte; von Augenblicken, in denen die Begierde sie mit solcher Wärme durchströmte, daß sie zum erstenmal rossige Stuten verstand.
Sie wußte nicht, ob Fara auch über solche Dinge sprach, aber Liebe, Achtung und Bande der Freundschaft vereinten die beiden Frauen. Eines Morgens schlug Mirdin Rob freudig lachend auf die Schulter. »Du hast das Gebot befolgt, dich zu vermehren. Sie erwartet ein Kind, du europäischer Bock!«
»Das stimmt nicht!«
»Doch«, widersprach Mirdin entschieden. »Du wirst schon sehen. In dieser Hinsicht irrt sich Fara nie.«
Zwei Tage später wurde Mary nach dem Frühstück blaß und erbrach Essen und Flüssigkeit, so daß Rob den gestampften Lehmboden säubern und scheuern und frischen Sand bringen mußte. In
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