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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Heilern erklärt. Wenige dieser angeblichen Ärzte besaßen jenen verbissenen Wissensdrang oder jene intellektuelle Begabung, die für Ibn Sinas Hinwendung zur Medizin kennzeichnend gewesen waren, und er erkannte, daß eine Möglichkeit geschaffen werden mußte, um die Qualifikation für die Ausübung der Tätigkeit des Mediziners festzustellen. Über ein Jahrhundert lang waren Anwärter auf den Arztberuf in Bagdad geprüft worden, bis Ibn Sina die Ärzteschaft davon überzeugte, daß auch in Isfahan die Befähigungsprüfung an der madrassa über die Anerkennung als Arzt entscheiden sollte, wobei er als leitender Prüfer in Medizin fungieren wollte.
    Ibn Sina war der beste Arzt im östlichen und westlichen Kalifat, er arbeitete jedoch in einem Unterrichtssystem, das keine großen Einrichtungen besaß. Die Akademie in Toledo hatte ihr Haus der Wissenschaft, die Universität in Bagdad hatte ihre Schule für Übersetzer, Kairo verfügte über eine reiche, fundierte medizinische Tradition, die viele Jahrhunderte zurückreichte. Jedes dieser Institute besaß eine berühmte, großartige Bibliothek, die von den Spenden des größeren und reicher dotierten Instituts in Bagdad lebte. Der maristan war ein kleinerer, bescheidener Abklatsch des großen Azudi-Krankenhauses in Bagdad. Nur die Anwesenheit von Ibn Sina wog die fehlende Größe und Bedeutung des Instituts auf.
    Ibn Sina gestand ein, daß er von der Sünde des Stolzes beherrscht wurde. Während sein eigener Ruf so überragend war, daß er sich nichts mehr daraus machte, reagierte er in bezug auf das Ansehen der von ihm ausgebildeten Ärzte empfindlich.
    Am achten Tag des Monats Shawwa brachte ihm eine Karawane aus Bagdad einen Brief von Ibn Sabur Yãqũt, dem obersten medizinischen Prüfer von Bagdad. Ibn Sabur wollte in der ersten Hälfte des Monats Zulkadah nach Isfahan kommen und den maristan besuchen. Ibn Sina kannte Ibn Sabur bereits und wappnete sich gegen die Herablassung und die ständigen überheblichen Vergleiche seines Bagdader Rivalen. Trotz aller Vorteile, die die Medizin in Bagdad genoß, wußte er, daß die Prüfungen dort oft berüchtigt lax gehandhabt wurden. Im maristan gab es derzeitig zwei der besten Medizinstudenten, die er je erlebt hatte. Er sah sofort, daß er der Ärzteschaft in Bagdad damit eindrucksvoll vor Augen führen konnte, welche Ärzte Ibn Sina in Isfahan ausbildete.
    Weil also Ibn Sabur Yãqũt den maristan besuchte, wurden Jesse ben Benjamin und Mirdin Askari zu der Prüfung zugelassen, die ihnen das Recht, sich hakim zu nennen, zuerkennen oder verweigern würde.

    Ibn Sabur Yãqũt entsprach ganz dem Bild, das Ibn Sina von ihm im Gedächtnis bewahrt hatte. Der Erfolg ließ seine Augen unter den dicken Lidern leicht hochmütig blicken. Seine Haare waren grauer als vor zwölf Jahren, als die beiden in Hamadhãn zusammengetroffen waren. Er trug ein auffallendes, teures Gewand aus buntem Stoff, das seine Stellung und seinen Wohlstand verkündete, aber trotz der hervorragenden Ausführung nicht verbergen konnte, daß er seit seiner Jugend erheblich an Umfang zugenommen hatte. Ibn Sabur besichtigte die madrassa und den maristan mit einem Lächeln auf den Lippen und eingebildet-guter Laune, seufzte und bemerkte, daß es ein Genuß sein müßte, sich in so geringem Ausmaß mit Problemen befassen zu müssen.
    Der vornehme Besucher fühlte sich sichtlich geschmeichelt, als man ihn ersuchte, der Prüfungskommission anzugehören, die zwei Studenten examinieren würde.
    Isfahan verfügte über keine große Zahl an hervorragenden Wissenschaftlern, konnte aber an der Spitze der meisten Fächer genügend Koryphäen aufweisen, so daß Ibn Sina keine Mühe hatte, eine Prüfungskommission zusammenzustellen, die auch in Kairo oder Toledo respektiert worden wäre. Al-Juzjani würde in Chirurgie prüfen. Imam Jussef Gamali von der Freitagsmoschee würde in Theologie examinieren. Musa Ibn Abbas, der mullah aus der Umgebung von Imam Mirza-abul Qandrasseh, des Großwesirs von Persien, würde die Fragen in Recht und Jurisprudenz stellen. Ibn Sina war für Philosophie und Medizin zuständig, und der Besucher aus Bagdad wurde geschickt dazu ermutigt, selbst die schwierigsten Fragen zu stellen. Die Tatsache, daß beide Kandidaten Juden waren, störte Ibn Sina nicht. Auch unter den Juden gab es natürlich Einfaltspinsel, die schlechte Ärzte abgaben, aber seiner Erfahrung nach hatten die intelligenten Dhimmis , die Medizin studierten, bereits die Prüfung in

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