Medicus 01 - Der Medicus
gespalten hatte. Als er sich über die große Wunde beugte, konnte er sie mit den Händen weiter öffnen.
Er bemerkte weder den Leichengeruch im Zelt noch den Duft des heißen, zerstampften Grases. Das Stöhnen der Verwundeten, das Summen der Fliegen und die Schreie und Kampfgeräusche drangen nicht mehr an sein Ohr. Er vergaß, daß sein Freund tot war, und die erdrückende Last seines Kummers schwand.
Zum erstenmal griff er ins Innere eines menschlichen Körpers und berührte das menschliche Herz.
Vier Freunde 2
Rob wusch Mirdin, schnitt ihm die Nägel, kämmte sein Haar und hüllte ihn in seinen Gebetsschal, von dem er die Hälfte der Fransen abgeschnitten hatte, wie es der Brauch erforderte. Er suchte Karim auf, der bei der Nachricht blinzelte, als hätte man ihn ins Gesicht geschlagen.
»Ich will nicht, daß er ins Massengrab kommt«, sagte Rob. »Seine Familie wird bestimmt herkommen, um ihn zu holen und bei seinem Volk in Masqat in geweihter Erde zu bestatten.« Sie wählten einen Platz direkt vor einem Felsen, der so groß war, daß ihn Elefanten nicht wegrollen konnten, bestimmten dann die genaue Lage und schritten die Entfernung vom Felsen zum Rand der nahen Straße ab. Karim erhielt auf Grund seines Vorrechts Papier, Feder und Tinte, und nachdem sie das Grab ausgehoben hatten, fertigte Rob eine genaue Skizze an, um sie nach Masqat zu schicken. Wenn es keinen unbestreitbaren Beweis dafür gab, daß Mirdin gestorben war, würde Fara als aguna, als verlassene Ehefrau, betrachtet werden und durfte nicht wieder heiraten.
So lautete das Gesetz; Mirdin hatte es ihn gelehrt.
»Alã Shahansha wird dabei sein wollen«, meinte Rob und beobachtete Karim, der den Schah aufsuchte. Alã trank mit seinen Offizieren und sonnte sich im warmen Schein seines Sieges. Er hörte Karim einen Moment zu und winkte dann ungeduldig ab. Rob fühlte, wie Haß in ihm aufstieg, denn er hörte noch die Stimme des Königs in der Höhle, der zu Mirdin gesagt hatte: »Wir sind vier Freunde.«
Karim kam zurück und meinte beschämt, sie müßten weitermachen. Er murmelte Stellen aus islamischen Gebeten, während sie die Grube zuschaufelten, aber Rob versuchte nicht zu beten. Mirdin standen trauernde, im Haskara andächtig erhobene Stimmen und der Kaddisb zu. Doch der Kaddish mußte von zehn Juden gesprochen werden, er aber war ein Christ, der sich als Jude ausgab und erschüttert und schweigend die Erde über seinem Freund aufhäufte. An diesem Nachmittag fanden die Perser im Wald keine Inder mehr, die sie töten konnten. Der Weg zurück war offen. Alã ernannte einen kampferprobten Veteranen namens Fahrhad zu seinem neuen Stadthauptmann, und der Offizier begann alsbald, lauthals seine Befehle zu brüllen, um die Streitmacht zum Abmarsch zusammenzutrommeln. Unter allgemeinem Jubel stellte Alã seine Rechnung auf: Er hatte einen indischen Waffenschmied gewonnen. Er hatte in Mansura zwei Elefanten verloren, dort aber achtundzwanzig erbeutet. Außerdem hatten die mahouts vier junge, gesunde Elefanten in einem Gehege in Kausambi gefunden.
Es waren Arbeitselefanten, nicht für die Schlacht geschult, aber dennoch wertvoll. Die indischen Pferde waren armselige, kleine Tiere, die von den Persern gar nicht beachtet wurden, dafür hatten sie eine kleine Herde schöner, schneller Kamele in Mansura und Dutzende von Tragkamelen in Kausambi erbeutet. Alã strahlte über den Erfolg seines Feldzugs.
Hundertzwanzig Mann von den sechshundert, die dem Schah aus Isfahan gefolgt waren, hatten den Tod gefunden, und Rob war für siebenundvierzig Verwundete verantwortlich. Von diesen waren viele schwer verletzt, so daß sie während der Reise sterben würden, aber es kam nicht in Frage, sie in dem geplünderten Dorf zurückzulassen. Sobald frische indische Truppe eintrafen, würde jeder Perser, der dort gefunden wurde, getötet werden.
Rob schickte Soldaten aus, um Teppiche und Decken in den Häusern einzusammeln, die zwischen Stangen befestigt wurden, um Tragbahren zu bilden. Als sie am nächsten Tag bei Morgengrauen abzogen, trugen Inder diese Bahren.
Nach dreieinhalb Tagen harten, anstrengenden Marsches erreichten sie die Stelle, an der sie den Fluß überqueren konnten. Gleich zu Beginn wurden zwei Männer fortgerissen und ertranken. In der Mitte des Indus war das Wasser nicht tief, aber reißend, und die mahouts stellten stromaufwärts Elefanten auf, welche die Gewalt des Wassers wie eine lebende Mauer brachen, womit der wahre Wert dieser Tiere
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