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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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dieses Glanzes wie der niedrigste Bettler unter ihnen die Augen zum Himmel erhob und rief:
    La ilah illallah;
Muhammadun rasulallah.
    Es gibt keinen Gott außer Gott;
Mohammed ist der Prophet Gottes.
    Jeden Morgen vor dem ersten Gebet versammelten sich mehrere hundert Menschen vor seinem Haus. Es waren Bettler, mullahs , Hirten, Kaufleute, Arme und Reiche. Der Arzt aller Ärzte trug seinen Gebetsteppich hinaus und verrichtete seine Andacht gemeinsam mit seinen Verehrern; wenn er dann zum maristan ritt, gingen sie neben seinem Pferd her, sangen vom Propheten und rezitierten Verse aus dem Koran.
    Jede Woche versammelten sich an mehreren Abenden Schüler in seinem Haus. Für gewöhnlich wurden medizinische Texte gelesen. Ein Vierteljahrhundert lang hatte al-Juzjani jede Woche laut aus Ibn Sinas Werken vorgelesen, am häufigsten aus dem berühmten >Kanon der Medizin<. Manchmal wurde auch Rob ersucht, aus Ibn Sinas Buch >Heilen< vorzulesen. Dann entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, eine Mischung aus Trinkgelage und klinischer Debatte, oft hitzig und manchmal auch heiter, aber immer lehrreich.
    »Wie gelangt das Blut in die Finger?« rief zum Beispiel al-Juzjani, indem er die verzweifelte Frage eines Studenten wiederholte. »Habt ihr vergessen, daß Galen gelehrt hat, das Herz arbeite wie eine Pumpe und setze so das Blut in Bewegung?«
    »Ah!« warf dann Ibn Sina ein. »Und der Wind setzt ein Segelschiff in Bewegung. Aber wie findet es den Weg nach Bahrain?« Wenn Rob fortging, sah er häufig den Eunuchen Wasif im Dunkeln vor der Tür zum Südturm.
    Eines Abends schlich Rob zu dem Feld hinter der Mauer von Ibn Sinas Besitz. Er war nicht überrascht, daß Karims grauer Araberhengst dort angebunden war.
    Während Rob zu seinem Pferd, das er nicht versteckt hatte, zurückging, beobachtete er das Zimmer im Südturm.
    Durch die Fensterschlitze in der runden Steinmauer flackerte das gelbe Licht, und er erinnerte sich ohne Neid oder Bedauern daran, daß Despina gern beim Licht von Kerzen liebte.

    Ibn Sina führte Rob in Geheimnisse ein, von denen er bisher kaum eine Ahnung hatte. »Es gibt in uns ein seltsames Wesen - manche nennen es den Geist, andere die Seele -, das große Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Gesundheit hat. Zum erstenmal stieß ich bei einem jungen Mann in Buchara darauf, als ich mich für das Thema zu interessieren begann, das mich veranlaßte, >Der Puls< zu schreiben. Ich hatte einen Patienten in meinem Alter namens Achmed; sein Appetit hatte nachgelassen, und er hatte abgenommen. Sein Vater, ein reicher Kaufmann, war verzweifelt und bat mich um Hilfe. Als ich Achmed untersuchte, konnte ich nichts Ungewöhnliches feststellen. Aber als ich bei ihm verweilte, geschah etwas Merkwürdiges: Meine Finger lagen auf seiner Arterie am Handgelenk, während wir freundschaftlich über verschiedene Orte von Buchara plauderten. Der Puls war langsam und regelmäßig, bis ich das Dorf Efsene erwähnte, in dem ich geboren bin. Da war in seinem Handgelenk ein solches Tremolo zu spüren, daß ich Angst bekam. Ich kannte das Dorf gut und begann, verschiedene Straßen zu erwähnen. Dies blieb ohne große Wirkung, bis ich zur Straße des elften Imam kam, wobei der Puls sich wieder beschleunigte und unregelmäßig wurde. Ich kannte nicht mehr alle Familien in der Straße, aber weitere Fragen und Gedächtnishilfen führten mich darauf, daß in dieser Straße der Kupferschmied Ibn Razi wohnte. Er besaß drei Töchter, von denen die älteste, Ripka, sehr schön war. Wenn Achmed von diesem Mädchen sprach, erinnerte mich das Flattern in seinem Handgelenk an einen verwundeten Vogel.
    Ich erklärte dem Vater, daß Achmeds Heilung in der Heirat mit dieser Ripka zu finden sei. Die Hochzeit wurde festgesetzt und fand bald statt. Nicht lange darauf kehrte Achmeds Appetit zurück. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er ein dicker, zufriedener Mann.
    Galen lehrte, daß das Herz und alle Arterien im gleichen Rhythmus pulsieren, so daß man anhand einer Stelle alle anderen beurteilen kann, und daß ein langsamer, regelmäßiger Puls auf gute Gesundheit schließen läßt. Aber seit dem Erlebnis mit Achmed habe ich herausgefunden, daß der Puls auch die Erregung eines Patienten oder seine Seelenruhe anzeigen kann. Ich habe es oft bestätigt gesehen, und der Puls hat sich als >der Bote, der nie lügt<, erwiesen.« So lernte Rob, daß er neben seiner Gabe, die Lebenskraft eines Menschen abzuschätzen, den Puls dazu benutzen konnte,

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