Medicus 01 - Der Medicus
Behandlungsraum verließ.
Zwei Städte weiter, in Devizes, gab er eine Vorstellung und ließ zum erstenmal, seit er die Technik beherrschte, einen Ball beim Jonglieren fallen. Die Leute lachten über seine Scherze und kauften die Arznei. An diesem Abend überraschte ihn ein heftiges Gewitter mit starkem Wind und prasselndem Regen. Man zählte den zweiten Tag im September, eigentlich zu früh für einen Herbstregen, aber es war schon sehr feucht und kalt. Er fuhr zu dem einzigen Zufluchtsort, dem Gasthof in Devizes, und band die Zügel der Stute an den Ast einer großen Eiche im Hof. Als er eintrat, stellte er fest, dass schon zu viele Leute vor ihm angekommen waren. Der gesamte Fußboden war besetzt. Der Gemeinschaftsraum des Wirtshauses stank nach feuchter, wollener Kleidung und ungewaschenen Körpern, und Rob wurde bald übel. Er verließ das Gasthaus, noch bevor der Regen aufgehört hatte, und ging zu seinem Wagen und seinen Tieren hinaus. Er fuhr zu einer nahen Lichtung und spannte die Stute aus. Im Wagen hatte er trockenes Brennholz, und es gelang ihm, ein Feuer anzuzünden. Mistress Buffington rieb sich an ihm. »Wir sind ein feines, einsames Paar«, stellte er fest. Und wenn es sein ganzes Leben dauern sollte, er würde weiter suchen, bis er einen würdigen Medicus fand, dessen Schüler er werden konnte. Bisher hatte er nur mit zwei jüdischen Ärzten gesprochen. Zweifellos gab es noch andere. »Vielleicht würde mich einer als Lehrling aufnehmen, wenn ich behaupte, dass ich Jude bin«, erklärte er der Katze.
So begann es: nicht einmal als Traum, sondern als ein dahingesagtes Hirngespinst. Er wusste, dass er nicht überzeugend genug einen Juden spielen konnte, um den prüfenden Blicken eines jüdischen Lehrherrn täglich standzuhalten. So saß er vor dem Feuer, starrte in die Flammen, und die Vorstellung nahm Gestalt an.
Die Katze bot ihm ihren seidigen Bauch. »Könnte ich den Juden wenigstens so gut spielen, dass ich Mohammedaner täusche?« fragte Rob sie, sich und Gott. So gut, um bei dem größten Arzt der Welt zu studieren?
Die Ungeheuerlichkeit des Gedankens betäubte ihn, er ließ die Katze fallen, und sie sprang in den Wagen. Einen Augenblick später kam sie mit etwas zurück, das wie ein kleines Pelztier aussah. Es war der falsche Bart, den er als der >Alte< getragen hatte. Rob hob ihn auf. Wenn ich für den Bader einen alten Mann spielen konnte, fragte er sich, warum kann ich nicht einen Hebräer spielen? »Ich werde ein falscher Jude!« rief er laut.
Es ist ein Glück, dass niemand vorbeiging und hörte, wie er eindringlich und lange mit seiner Katze sprach, denn es hätte sonst geheißen, dass er ein Hexer war, der mit seinem Sukkubus sprach.
Er hatte keine Angst vor der Kirche. »Auf diese Kinder stehlenden Pfaffen scheiße ich«, sagte er zur Katze.
Er konnte sich einen vollen Judenbart wachsen lassen und ein jüdisches Glied hatte er ja schon. Er würde den Leuten erzählen, dass er wie Merlins Söhne getrennt von seinem Volk aufgewachsen sei, ohne dessen Sprache und Gebräuche zu erlernen. Und er würde nach Persien gelangen. Er würde den Saum von Ibn Sinas Gewand berühren! Er war aufgeregt und entsetzt, schämte sich, ein erwachsener Mann zu sein und so zu zittern. Es war wie der Augenblick, als er zum erstenmal über Southwark hinausgelangt war.
Angeblich gab es sie überall, Gott verdamme ihre Seelen. Auf der Reise würde er freundschaftlichen Verkehr mit ihnen suchen und ihr Verhalten erforschen. Wenn er Isfahan erreichte, würde er fähig sein, den Juden zu spielen, und Ibn Sina würde ihn aufnehmen und ihm die kostbaren Geheimnisse der arabischen Schule verraten müssen.
Zweiter Teil
Die lange Reise
Die erste Etappe
Von London segelten mehr Schiffe nach Frankreich als von jedem anderen englischen Hafen. Deshalb begab sich Rob in seine Geburtsstadt. Unterwegs hielt er immer wieder an, um zu arbeiten, denn er wollte zu einem solchen Abenteuer mit möglichst viel Gold aufbrechen. Als er in London ankam, war die Jahreszeit für Schiffsreisen vorbei. Die Themse strotzte von den Masten der vor Anker liegenden Schiffe. König Knut hatte sich an seine dänische Herkunft erinnert und eine große Flotte von Wikingerschiffen gebaut, die wie angebundene Ungeheuer auf dem Wasser dümpelten. Auf keinem Schiff sah man Güter oder Passagiere, denn die kalten Winterstürme hatten bereits eingesetzt. Während der kommenden schlimmen sechs Monate würde morgens oft die Salzgischt im Kanal
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