Medicus 01 - Der Medicus
frieren, und die Seeleute wussten, dass sie den nassen Tod herausforderten, wenn sie sich dorthin wagten, wo die Nordsee mit dem Atlantik zusammentraf. Im >Herring<, einer Kneipe für Seeleute im Hafengebiet, trommelte Rob mit dem Krug, in dem heißer Apfelwein war, auf die Tischplatte. »Ich suche eine gemütliche, saubere Wohnung, bis man im Frühjahr wieder in See stechen kann«, rief er. »Ist jemand hier, der so etwas kennt?«
Ein kleiner kräftiger Mann, der wie eine Bulldogge gebaut war, betrachtete ihn, während er seinen Becher leerte, und nickte dann. »Ja. Mein Bruder Tom ist auf seiner letzten Reise gestorben. Seine Witwe Binnie Ross ist mit zwei Kindern zurückgeblieben, die sie ernähren muß. Wenn du bereit bist, anständig zu zahlen, wird sie dich gern aufnehmen.«
Rob lud den Mann zu einem Drink ein, dann folgte er ihm ein kurzes Stück zu einem kleinen Haus am Marktplatz von Hast Chepe. Binnie Ross war eine kleine Maus, eine junge Frau mit kummervollen blauen Augen in einem blassen Gesichtchen. Das Haus war sauber, aber sehr klein.
»Ich habe eine Katze und eine Stute«, sagte Rob. »Ach, die Katze macht mir nichts aus«, antwortete sie ängstlich. Es war klar, dass sie verzweifelt Geld brauchte.
»Ihr könntet das Pferd für den Winter einstellen«, meinte ihr Schwager, »in Egglestans Stall an der Thames Street.« Rob nickte. »Den kenne ich.«
»Sie ist trächtig«, stellte Binnie Ross fest, als sie die Katze hochhob und streichelte.
Rob fand, dass der glatte Bauch keinerlei Rundung aufwies. »Wieso wißt Ihr das?« fragte er und war überzeugt, dass sie sich irrte. »Sie ist noch jung, sie ist erst letzten Sommer zur Welt gekommen.« Die junge Frau zuckte mit den Achseln.
Aber sie hatte recht, denn innerhalb weniger Wochen blühte Mistress Buffington förmlich auf. Rob fütterte sie mit Leckerbissen und besorgte gutes Essen für Binnie und ihren Sohn. Die kleine Tochter wurde noch von ihrer Mutter gestillt. Rob ging gern auf den Markt und kaufte für sie ein, denn er wusste noch genau, wie herrlich es ist, nach einer langen Zeit, in der der leere Magen geknurrt hat, gut zu essen.
Die Kleine hieß Aldyth und der noch nicht zwei Jahre alte Junge Edwin. Jede Nacht hörte Rob Binnie weinen. Er war noch keine vierzehn Tage im Haus, als sie im Dunkeln in sein Bett kam. Sie sagte kein Wort, sondern legte sich hin, umschlang ihn mit ihren schlanken Armen und schwieg auch während des Aktes.
Als sie fertig waren, schlüpfte sie in ihr Bett zurück, und am nächsten Tag machte sie keine Anspielung auf die Ereignisse der Nacht. »Wie ist dein Mann gestorben?« fragte er sie, als sie den Frühstücksbrei austeilte.
»Ein Sturm. Wulf - das ist sein Bruder, der dich hierher gebracht hat, hat mir erzählt, dass mein Tom weggerissen wurde. Er konnte nicht schwimmen.«
Sie benützte ihn noch einmal und drückte sich verzweifelt an ihn. Dann kam der Bruder ihres toten Mannes, der zweifellos seinen ganzen Mut zusammengerafft hatte, um sich mit ihr auszusprechen, eines Nachmittags ins Haus. Wulf kam danach jeden Tag mit kleinen Geschenken; er spielte mit seiner Nichte und seinem Neffen, aber es war klar, dass er ihrer Mutter den Hof machte. Und eines Tages erzählte Binnie Rob, dass sie und Wulf heiraten würden. Dadurch wurde es für Rob leichter, es in dem Haus auszuhalten. Während eines Schneesturms brachte Mistress Buffington einen schönen Wurf zur Welt: eine weiße Miniaturausgabe von ihr, einen weißen Kater und zwei schwarzweiße Kater, die vermutlich ihrem Vater ähnlich sahen. Binnie machte sich erbötig, die vier Kätzchen zu ertränken, doch sobald sie entwöhnt waren, polsterte Rob einen Korb mit Lappen aus und brachte die jungen Tiere in Kneipen, wo er die Leute zu Drinks einlud, um Abnehmer für sie zu finden. Im März kehrten die Unfreien, die die schwere Arbeit im Hafen besorgten, in den Hafenbezirk zurück, und wieder konnte man auf der Thames Street eine Menge von Männern und Rollwagen sehen, die Exportgüter in die Lagerhäuser und auf die Schiffe brachten. Rob erkundigte sich bei Reisenden mit unzähligen Fragen und kam zu dem Schluß, dass seine Reise am besten in Calais begann. »Dorthin geht mein Schiff«, sagte Wulf und nahm ihn zum Kai mit, damit er sich die >Queen Emma< ansah. Sie war nicht so großartig wie ihr Name: ein großer, alter Holzkahn mit einem sehr hohen Mast. Die Schauerleute beluden ihn mit Zinnplatten aus Cornwall. Wulf brachte Rob zum Kapitän, einem ernsten
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