Medicus 01 - Der Medicus
zurückkommen, so war es eben. Aber gab es etwas Besseres, als ein Leben lang gegen den alten Ritter zu kämpfen? Das Studium der Medizin war auf seine Weise etwas, dem man sich anstelle der fehlenden Familie liebend widmen konnte. Als die Katze zu ihm kam und sich mit ihrem gesunden Ohr an ihm rieb, beschloss er, seinen Traum zu verwirklichen. Das Vorhaben war entmutigend. Er veranstaltete in Northampton, Bedford und Herford Vorstellungen, und in jeder Stadt suchte er Ärzte auf, sprach mit ihnen und stellte fest, dass ihre medizinischen Kenntnisse insgesamt geringer waren als die des Baders. In der Stadt Maldon war der Ruf des Arztes als Stümper so verheerend, dass die Leute, als Rob sich nach dem Haus des Medicus erkundigte, erblaßten und sich bekreuzigten.
Es hatte keinen Sinn, bei solchen Leuten in die Lehre zu gehen. Er kam auf den Gedanken, dass ein jüdischer Arzt wie Merlin vielleicht eher bereit sein würde, ihn als Lehrling aufzunehmen. Auf dem Hauptplatz von Maldon, wo Arbeiter gerade eine Ziegelmauer errichteten, hielt er an.
»Kennt Ihr Juden in dieser Stadt?« fragte er den Maurermeister. Der Mann starrte ihn an, spuckte aus und wandte sich ab. Er fragte andere Männer auf dem Platz, mit dem gleichen Ergebnis. Endlich sah ihn jemand neugierig an. »Warum sucht Ihr Juden?«
»Ich suche einen jüdischen Medicus.«
Der Mann nickte verständnisvoll. »Möge Christus Euch gnädig sein. Es gibt Juden in Malmesbury, und sie haben dort einen Medicus namens Adolescentoli.«
Die Fahrt von Maldon nach Malmesbury dauerte fünf Tage, und er unterbrach sie in Oxford und Alveston, um Vorstellungen zu geben und Arzneien zu verkaufen. Rob fiel ein, dass der Bader Isaak Adolescentoli als berühmten Medicus bezeichnet hatte, und er fuhr hoffnungsvoll in Malmesbury ein, als die Schatten des Abends sich auf den kleinen, bescheidenen Ort senkten. Im Wirtshaus erhielt er eine einfache, aber kräftige Mahlzeit.
Der Bader hätte das Hammelstew als ungewürzt bezeichnet, aber es enthielt viel Fleisch, und nachher konnte er gegen Bezahlung erreichen, dass man für ihn in der Ecke des Schlafraums frisches Stroh aufschüttete.
Am nächsten Morgen beim Frühstück ersuchte er den Wirt, ihm von dem Juden von Malmesbury zu erzählen.
Der Mann hob die Schultern, als wolle er sagen: Was gibt es da zu erzählen?
»Ich bin neugierig, weil ich bis vor kurzem keine Juden kannte.«
»Das kommt daher, dass sie in unserem Land selten sind«, antwortete der Wirt. »Der Mann meiner Schwester, ein weitgereister Schiffskapitän, behauptet, dass es in Frankreich viele gibt. Man findet sie in allen Ländern, und sie sind um so zahlreicher, je weiter man nach Osten reist.«
»Lebt Isaak Adolescentoli hier unter ihnen? Der Medicus?«
Der Wirt grinste. »Nein, sie leben um Isaak Adolescentoli und sonnen sich in seinem Ruhm.«
»Er ist also berühmt?«
»Er ist ein großer Medicus. Die Leute kommen von weit her, um ihn um Rat zu fragen, und wohnen dann in dieser Herberge«, berichtete der Wirt stolz. »Die Pfaffen sind natürlich gegen ihn, aber« — er legte den Finger an die Nase und beugte sich vor- »ich weiß von mindestens zwei Fällen, bei denen er im Dunkel der Nacht geholt und nach Canterbury gebracht wurde, um Erzbischof Aethelnoth zu behandeln, von dem man im vergangenen Jahr befürchtete, dass er sterben würde.«
Er erklärte Rob, wie er die jüdische Siedlung erreichen könne, und bald fuhr dieser an den grauen Steinmauern der Abtei von Malmesbury vorbei, durch Wälder, Felder und einen steilen Weingarten, in dem Mönche Trauben pflückten. Ein niedriges Wäldchen trennte das Gebiet der Abtei von den Unterkünften der Juden, einer Ansammlung von etwa einem Dutzend Häusern. Das mussten Juden sein: häßliche Männer in losen, schwarzen Kaftanen und glockenförmigen Lederhüten sägten und hämmerten und bauten einen Schuppen. Rob fuhr zu einem Gebäude, das größer war als die anderen und auf dessen großem Hof Pferde angebunden waren und Wagen standen. »Isaak Adolescentoli?« erkundigte sich Rob bei einem der Jungen, die sich um die Tiere kümmerten.
»Er ist im Behandlungsraum«, antwortete der Junge und fing geschickt die Münze auf, die ihm Rob zuwarf, um sicher zu sein, dass die Stute gut behandelt wurde.
Die Haustür führte in einen großen Warteraum mit Holzbänken, auf denen sich leidende Menschen drängten. Es ging zu wie in den Reihen, die vor Robs Wandschirm warteten, aber hier waren viel mehr Menschen.
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